Vor der Wahl des Bundespräsidenten gibt es Zweifel in beiden Lagern - obwohl alles klar sein müsste für den CDU-Kandidaten Wulff.

Hamburg. Eigentlich ist alles sicher. Anders als bei der Wiederwahl von Horst Köhler vor einem Jahr hat Christian Wulff (CDU) eine klare absolute Mehrheit in der Bundesversammlung. Union und FDP verfügen über 644 Sitze - damit hat ihr Kandidat einen Vorsprung von 21 Stimmen über der absoluten Mehrheit. Mehr als komfortabel. Eigentlich.

Doch die vergangenen Wochen brachten leise Ungewissheit darüber, wie sicher der Wahlsieg von Wulff ist. Sogar Wulff selbst äußerte sich vorsichtig. "Manchmal habe ich gewisse Zweifel, dass es im ersten Wahlgang glückt", sagte er auf seiner Werbetour um Wahlleute in Bayern und Baden-Württemberg. Er gehe aber davon aus, dass es danach klappt.

Es sind wohl auch die Stimmen einiger Liberaler, die Wulffs Zuversicht dämpfen. Zwar steht das Gros der FDP hinter ihm - doch gibt es bereits Wahlleute, die ihr Abweichen von Wulff öffentlich machten. Darunter der sächsische Landesvorsitzende der FDP, Holger Zastrow. Er und drei weitere Wahlleute aus Sachsen wollen für Gauck stimmen. Es sind kleine Nadelstiche gegen Wulff - und es sind Hinweise darauf, dass die Wahl am Mittwoch auch ein Spiegel der Zerrissenheit in der schwarz-gelben Koalition werden könnte.

Und der Gegenwind für Wulff nimmt zu. Auch aus dem Norden. Oliver Möllenstedt, der Bremer FDP-Chef, wolle für Gauck votieren. Von den 22 Wahlmännern aus Schleswig-Holstein sagen laut "Lübecker Nachrichten" nur zehn Wulff ihre Stimme zu. Auch die Delegierte des Südschleswigschen Wählerverbands und die zehn Wahlleute der Freien Wähler in Bayern wollen für Gauck stimmen.

Lob für den Kandidaten der Opposition, Joachim Gauck, einerseits, ein klares Bekenntnis zu Wulff andererseits - das ist trotz vier Abweichlern der Tenor im liberalen Lager, wenige Tage bevor die Bundesversammlung zusammenkommt. Es werde nur ganz wenige Stimmen der FDP-Wahlleute gegen Wulff geben - wenn überhaupt. Mit diesen Worten bekräftigte die FDP-Vizeparteichefin und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der "Welt am Sonntag" noch einmal die Unterstützung ihrer Partei für Wulff.

Doch vor allem eines dürfte den bisherigen niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff nervös machen: Ehemalige, einst von der Union nominierte Bundespräsidenten plädieren für eine "freie Wahl". Richard von Weizsäcker unterstützte die Forderung des früheren CDU-Spitzenpolitikers Kurt Biedenkopf, die Koalition solle die Abstimmung über ihren Kandidaten freigeben. "Biedenkopfs Ansatz ist richtig. Die Wahl ist frei", sagte Weizsäcker der "Bild"-Zeitung. Auch Altpräsident Roman Herzog sprach sich im SWR für die Freigabe aus. Die Parteispitze könne sich kein Einpeitschen der Wahlleute erlauben. Biedenkopf hatte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, Koalition und Opposition müssten ihren Wahlleuten die Entscheidung in der Bundesversammlung freistellen - ohne Parteizwang.

Wer Biedenkopf, Weizsäcker, Herzog und deren Distanz zur Kanzlerin kennt, kann das als verkappten Aufruf zur Wahl Gaucks und als klares Zeichen gegen Merkels Entscheidung, den CDU-Ministerpräsidenten Wulff für das Präsidentenamt zu nominieren, werten. Womöglich hängt von einem Sieg Wulffs sogar der Fortbestand von Schwarz-Gelb ab. Jedenfalls bemühen sich auffallend viele Politiker, genau dies zu dementieren. Darunter auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Aber auch Gauck selbst wird nicht müde zu betonen, dass das eine mit dem anderen gar nichts zu tun habe. Kein Wunder: Er will ja mit ihm sympathisierende Wahlleute aus CDU/CSU und FDP nicht mit der Vision eines Koalitionsbruchs von ihrer Stimmabgabe für ihn abhalten.

Für die Kanzlerin und ihren Kandidaten wäre es eine Blamage, würde Wulff im ersten Wahlgang durchfallen. Auch im zweiten Anlauf bräuchte er die absolute Mehrheit. In einem dritten Wahlgang reicht die relative Mehrheit - stimmen mehr Wahlleute in der Bundesversammlung für Gauck als für Wulff, siegt der Kandidat von SPD und Grünen. Die beiden Parteien kommen in der Bundesversammlung aber nur auf 462 Sitze. Die Linke hat mit Luc Jochimsen ihre eigene Kandidatin aufgestellt. Doch selbst wenn SPD, Grüne und Linke im dritten Wahlgang gemeinsam für Gauck stimmen, kommen sie nur auf 586 Sitze - Schwarz-Gelb hätte ohne Abweichler noch 48 Sitze mehr.

Und so zweifelt auch Gauck. Er selbst rechne sich nur geringe Erfolgsaussichten aus. Und es wäre eine Überraschung, sollte es zu einem dritten Wahlgang kommen, hatte Gauck dem Abendblatt gesagt. Und er hat überhaupt nur dann eine Chance, wenn die Linken für ihn stimmen. Doch genau das wird immer fraglicher - und der Ton zwischen dem ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und den Linken schärfer. Jüngste Äußerungen Gaucks seien ein "aktueller neuer Tiefpunkt", sagte Thüringens Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow im MDR. Im Abendblatt hatte Gauck die Linke auf Bundesebene als regierungsunfähig bezeichnet. Er könne keine Bindung der Linken an das europäische Demokratieprojekt erkennen. Auch der Chef der Linkspartei reagierte mit harscher Kritik auf Gauck: "Es ist für einen Kandidaten äußerst ungewöhnlich, diejenigen zu beschimpfen, deren Stimmen man braucht", sagte Klaus Ernst dem Abendblatt. "Gauck hat in den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt, dass er kein Versöhner ist. Wir werden den Kakao, durch den er uns zieht, nicht auch noch trinken. Gauck ist für uns nicht wählbar", so Ernst. Schon morgen könnte ein entscheidender Tag bei der Präsidentenwahl werden: Gauck stellt sich in Berlin der Linksfraktion vor.