Der Bundespräsident hat wenig zu bestimmen und zu entscheiden. Angesichts der großen Probleme des Landes könnte es den Deutschen egal sein, wer künftig im Schloss Bellevue residiert. Ist es aber nicht! Wulff oder Gauck - gut informiert und engagiert beschäftigen sich die Bürger seit Wochen mit der Frage, wen sie als ihren obersten Repräsentanten für geeigneter halten. Ganz gleich, wer es am Mittwoch wird, schon jetzt stehen erste Gewinner der Wahl fest: die Demokratie, die politische Kultur Deutschlands und das Volk.

Die Qualität der Debatte hängt natürlich mit der Qualität der Kandidaten zusammen. Christian Wulff, der erfolgreiche CDU-Ministerpräsident mit seiner jungen Familie, kann über Parteigrenzen hinaus Interesse und Zustimmung finden. Er hat allerdings das Pech, dass seine Nominierung eng mit machtpolitischen Überlegungen der taumelnden schwarz-gelben Berliner Regierungskoalition verbunden war. Deshalb hat es der frühere Stasi-Aufklärer Joachim Gauck leichter, als überparteilicher und unabhängiger Bewerber gesehen zu werden.

Gaucks Selbstbeschreibung, er sei ein "linker liberaler Konservativer" drückt im Übrigen ein Lebensgefühl und eine politische Standortbestimmung aus, die auf die überwiegende Mehrheit der Deutschen zutrifft. Weniger fest parteigebunden, sondern eher pragmatisch, mit Überzeugungen nach Maßgabe des gesunden Menschenverstands, so sehen sich die meisten Wähler. Und so justieren sie auch ihre Meinung zu aktuellen politischen Themen. Zuletzt zum Sparpaket der Bundesregierung. Da ist sich das Volk in großer Mehrheit einig, dass es keine Steuersenkungen geben soll. Und selbst gut Verdienende bis hin zum Vorsitzenden des CDU-Wirtschaftsrates sind - im Gegensatz zur Regierung Merkel - dafür, dass sie selbst stärker belastet werden. Da darf man ohne großes Risiko vorhersagen, dass bei den Beratungen in Bundestag und Bundesrat noch eine Erhöhung der "Reichensteuer" (ab 250 000 Euro Jahresverdienst) ins Sparpaket eingefügt werden wird.

Das Volk bestimmt die Richtlinien der Politik, dies ist die Erkenntnis aus der Spardebatte und aus der intensiven Anteilnahme an der Bundespräsidenten-Wahl. Es gibt eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass die deutsche Politik unideologisch, möglichst sparsam und sozial ausgeglichen betrieben werden muss. Bis in Manager- und Unternehmerkreise hinein herrschen Skepsis gegenüber einem unregulierten Kapitalismus und Ablehnung ausschließlich gewinnorientierter Finanzmarkt-Transaktionen.

Diese grundsätzliche Haltung hat sich - auch in allen Parteien, bis auf die FDP - in den letzten Jahren entwickelt. Die rot-grüne Regierung Schröder war zu ihrer Zeit viel Kapitalismus-gläubiger, als es der CDU-Wirtschaftsflügel heute ist. Wahrscheinlich ist es das große Verdienst des zurückgetretenen Bundespräsidenten Köhler, dass er den Lernprozess öffentlich vor-vollzogen hat: vom marktorientierten Weltbanker hin zum Kritiker des "Finanzmonsters".

Das Volk bestimmt die Richtlinien der Politik - diese Erkenntnis muss sich die schwarz-gelbe Regierung zu Herzen nehmen, freilich auch die rot-grüne Opposition. Sie profitiert zwar von der Gauck-Nominierung und der Debatte um das Sparpaket. Sie wird aber damit auch politisch festgelegt - auf einen Kurs Richtung Mitte.

Denn das Volk will im Prinzip keine andere Politik, sondern eine bessere. Das Quartett Gabriel, Steinmeier, Trittin, Künast rangiert in den Umfragen so weit vor dem Trio Merkel, Westerwelle, Seehofer von der "Wunschkoalition", weil es professioneller und politisch geschickter agiert - und nicht, weil es grundsätzliche Änderungen anstrebt. Rot-Grün war ja auch so klug, die Rettungspakete für den Euro nicht abzulehnen, sondern sich wegen handwerklicher Kritik an der Bundesregierung lediglich zu enthalten. Und Rot-Grün lehnt auch das Sparpaket nicht prinzipiell ab, sondern bietet Verhandlungen über seine Ausgestaltung an.

Dies alles bedeutet eine deutliche Distanzierung von der Linkspartei und damit eine Abkehr von Überlegungen, recht bald eine rot-rot-grüne Regierungsmehrheit im Bundestag anzupeilen. Vor allem mit der Nominierung Joachim Gaucks hat die SPD aufgehört, den Linken programmatisch hinterherzulaufen.

Im Gegenteil: Die Linkspartei wurde als die rückwärts gewandte, in der freiheitlichen Demokratie immer noch nicht angekommene Gruppierung entlarvt, die sie 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch ist.