Nach der OECD warnen im Bildungsbericht auch deutsche Wissenschaftler vor der Leistung für Daheimerziehende. Am 29. Juni Debatte im Bundestag.

Berlin. Im neuen Bildungsbericht von Bund und Ländern warnen Wissenschaftler ausdrücklich vor der Einführung eines Betreuungsgeldes. Doch die Bundesregierung wie auch bayerische CSU-Landesminister wollen sich die kritische Position der unabhängigen Experten nicht zu eigen machen. Man halte weiter am Betreuungsgeld für daheim erziehende Eltern fest, hieß es in Berlin und München.

Gleich an mehreren Stellen des 340-seitigen Berichts warnen die Wissenschaftler vor falschen Anreizen, die besonders Eltern aus bildungsfernen Schichten davon abhalten könnten, ihr ein- oder zweijähriges Kleinkind in eine Kita zu schicken. Zudem stehe der Staat jetzt schon vor erheblichen finanziellen Herausforderungen beim Ausbau der Kindertagesstätten, der Einlösung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige sowie dringend notwendigen Qualitätsverbesserungen in Kindereinrichtungen.

Dagegen bestehe bei zusätzlichen Leistungen wie dem Betreuungsgeld die Gefahr, dass keines der angestrebten Ziele zufriedenstellend erreicht werde, heißt es in dem Bericht. Er soll offiziell am Freitag von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) und vom Bundesbildungsministerium veröffentlicht werden. "Der Bericht gibt die Meinung der unabhängigen Experten wieder, nicht aber die Meinung der Bundesregierung", sagte ein Sprecher des Bundesbildungsministeriums. Der Bericht enthalte Aussagen über das gesamte Bildungssystem, zu denen die Regierung später Stellung nehmen werde. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) habe im Kabinett dem Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld zugestimmt, betonte der Sprecher.

Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer (CSU) wies die Kritik der Wissenschaftler zurück: "Der Bildungsbericht hebt zu Recht die zentrale Funktion von Eltern heraus und fordert, dass Kinder ab drei Jahren in den Kindergarten gehen. In den ersten drei Lebensjahren ist aber verlässliche Bindung die beste Bildungsinvestition. Denn: Ohne Bindung keine Bildung." Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) kündigte an, er werde gegenüber den Wissenschaftlern "einer möglichen Fehleinschätzung klar widersprechen. Das Betreuungsgeld ergänzt die frühe Förderung von Kindern." Es war von der CSU in der schwarz-gelben Koalition durchgesetzt worden - gegen den Widerstand von mehreren CDU- und auch FDP-Abgeordneten.

Etwa ein Viertel der Drei- bis Sechsjährigen in Deutschland werden laut Bericht als "sprachförderbedürftig" eingestuft. "Die Leseorientierung in der Familie wird durch den Bildungsstand der Eltern geprägt", heißt es in der Analyse. Kleinkinder, die diese Unterstützung aber nicht erhielten und zugleich auch keine Kita besuchten, seien bei der Bildung doppelt benachteiligt. Dabei hätten viele Untersuchungen den Nutzen frühkindlicher Bildung in Betreuungseinrichtungen eindeutig belegt. So verfügten Kinder, die vor ihrer Einschulung mindestens drei Jahre eine Kita besuchten, in der vierten Grundschulklasse beim Lesen und beim Textverständnis in der Regel über einen Lernvorsprung von gut einem Schuljahr. Solche erheblichen Lernvorsprünge fänden sich "auffällig" auch bei Kindern aus problematischen Elternhäusern oder aus Migrantenfamilien.

Der FDP-Bildungspolitiker Patrick Meinhardt sagte: "Bayern soll sein Betreuungsgeld bekommen und nicht die Wahlfreiheit für alle anderen Bundesländer blockieren." Jedes Bundesland solle entscheiden, ob es das Geld in den Kita-Ausbau stecke oder für ein Betreuungsgeld in bar oder als Gutschein verwende. Grünen-Fraktionsvize Ekin Deligöz sagte: "Die Liste an fachlich fundierter Kritik am Betreuungsgeld wird immer länger." Der Bildungsbericht, verfasst von Experten, die Bund und Länder einberufen hätten, sei "das i-Tüpfelchen". Die Regierung müsse endlich die Reißleine ziehen.

Die Koalitionsfraktionen wollen trotz Widerstands auch in den eigenen Reihen das Betreuungsgeld im Herbst im Bundestag verabschieden. Am 29. Juni soll der Gesetzentwurf erstmals im Bundestag diskutiert werden.