Neinsager in der Koalition bedrohen Regierungsfähigkeit

Eine Mehrheit im Deutschen Bundestag ist eine Mehrheit - wenn sie denn anwesend ist. Das ist so banal wie entscheidend. Die parlamentarische Panne wegen der Nichtbeschlussfähigkeit bei der Betreuungsgeld-Lesung wird weite Kreise ziehen. Denn die schwarz-gelbe Regierungskoalition ist tief zerstritten. Jeder Verantwortliche - ob Seehofer, Rösler oder ihre Vasallen - weidet sich an Nadelstichen gegen den vermeintlichen Partner. Wenn sich der Umgang miteinander bis in die Blindheit gegenüber der Geschäftsordnung durchschlägt, kann man das nur amateurhaft nennen.

Denn das weiß jeder Vereinsprotokollant der eingetragenen Geranienfreunde, jeder ehrenamtliche Parteiortsvorsteher: Mit dem drohenden Zeigefinger auf Tages- und Geschäftsordnung lassen sich große Ideen klein machen. So ist die Pleite der Union wegen der ausgefallenen Betreuungsgeld-Lesung ein Schlag ins Gesicht für Fraktionschef Volker Kauder und den parlamentarischen Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Wer seine Schäflein bei einer so brisanten Thematik nicht beisammenhat, der sollte in einem erwartbar schwach besuchten Bundestag nicht mal eine Lesung ansetzen. Und der ist auch am Ende nicht regierungsfähig.

SPD, Grüne und Linke verhielten sich legal, wenn auch schelmisch. Ihr Coup zeigt vielmehr, wie groß die Herausforderung ist, Mehrheiten zu organisieren. Schon bei der Euro-Rettung gab es prominente Abweichler. Beim Betreuungsgeld und demnächst bei der Frauenquote spiegeln Neinsager auch das zerrissene Meinungsbild in der Bevölkerung wider. Es steckt meist mehr als reiner Populismus dahinter, wenn Abgeordnete von ihrem Recht auf ein eigenes Gewissen Gebrauch machen. Die Abweichler können auf den Koalitionsvertrag verweisen und das, was von ihm übrig blieb. In der Realität dieser Koalition gab es Wenden und Widersprüche, dass einem bei einer erneuten Lektüre schwindlig würde. Man kann es auch positiv die Pragmatik von Angela Merkels Regierungsstil nennen. Denn am Ende wird das umstrittene Betreuungsgeld ja kommen.