Hunderttausende Menschen aus Osteuropa und den Euro-Krisenstaaten nehmen Jobs in Deutschland an. Süddeutsche Städte buhlen um Portugiesen.

Hamburg. In Portugal dürfte die bekannteste deutsche Stadt derzeit Schwäbisch Hall sein. Die beliebteste ist sie ohnehin, seit Madalena Queirós in der Wirtschaftszeitung "Diário Económico" einen Text veröffentlichte, der die Überschrift trug: "Lernen Sie die deutsche Stadt kennen, die Portugiesen beschäftigen will". Schwäbisch Hall, 60 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, sucht Arbeitskräfte aller Art. Die Region ist hügelig, die Menschen sind gesellig. Die Schulen kosten nichts, Studiengebühren wurden abgeschafft. 2700 Euro verdiene man im Schnitt, heißt es, Fachkräfte auch mehr.

Das klingt nach gelobtem Land in den Ohren vieler Portugiesen, die gebeutelt sind von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Weil der Text auch die E-Mail-Adresse der Arbeitsagentur enthielt, dauerte es kaum 24 Stunden, bis 2500 Bewerbungen aus Portugal in Schwäbisch Hall landeten. Sie schrieben auf Portugiesisch, Englisch, Deutsch. Einige Bewerber hatten sogar noch Jobs in der Heimat, 40 setzten sich gleich ins Auto. Ziel: Wirtschaftswunderland Schwaben mit seinen Schraubenfirmen (Würth), Autobauern (Mercedes Benz, Porsche) und -zulieferern (Bosch, ZF), den diversen Großbaustellen und einem boomenden Gaststättengewerbe.

Die Krise im Euro-Land führt zu einer nie da gewesenen Völkerwanderung arbeitswilliger Männer und Frauen. Die Arabellion in Nordafrika und im Nahen Osten trieb die Menschen vorrangig Richtung Frankreich und Großbritannien, klassische Ziele für Wanderungswillige aus diesen Regionen. Die skandinavischen Länder bleiben wegen guter Bezahlung hoch attraktiv.

Doch das alternde Deutschland mit seinem steigenden Bedarf an Fachkräften, Handwerkern und Pflegern schält sich zur ersten Adresse für mobile Menschen aus Spanien, Portugal, Griechenland und anderen EU-Staaten heraus. Die Freizügigkeit innerhalb der EU trägt ihren Teil dazu bei.

Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes leben 6,93 Millionen Menschen mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit zwischen Flensburg und Garmisch. Der Zuwachs von 177 000 im Vergleich zu 2010 ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr, sagte Bundesamts-Referent Gunter Brückner. 88 Prozent der neu Zugewanderten stammen aus der EU. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Türken.

Zahlenmäßig waren Polen (49 046) die größte Zuwanderergruppe vor Rumänen (32 686) und Bulgaren (19 020). Die Zahl der neu ins Land gekommenen Spanier stieg bundesweit überproportional an. Auf der Iberischen Halbinsel hat fast jeder Zweite unter 25 keinen Job. Nach Hamburg kamen noch mehr Spanier, Portugiesen und Griechen sowie Polen als im Bundesdurchschnitt, weil ihre Landsleute hier seit Jahren eine große Gemeinde bilden.

Die Eintrittskarte läuft über Deutschkenntnisse", sagte der Hamburger Arbeitsagentur-Sprecher Knut Böhrnsen zu den Krisen-Flüchtlingen. In den Ursprungsländern boomen die Deutschkurse. Der Europäische Sozialfonds und der Senat fördern eine neue Beratungsstelle zur Arbeitnehmerfreizügigkeit des Vereins Arbeit und Leben Hamburg.

"Bau- und Hotelgewerbe suchen händeringend", sagte Annette Kohlmüller, Sprecherin der gemeinnützigen Einrichtung. Allerdings führen fehlende Sprachkenntnisse und der unübersichtliche Arbeitsmarkt dazu, dass Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa oft bei Subunternehmern anheuern, scheinselbstständig werden und niedrige Löhne bekommen. "Zahlreiche Menschen kommen engagiert und gut qualifiziert nach Hamburg, sind aber über die hiesigen Arbeitsverhältnisse, Rechte und Möglichkeiten nur wenig informiert", sagte Rüdiger Winter, Projektleiter bei Arbeit und Leben.

Anders als in skandinavischen Ländern, das bemängeln hiesige Arbeitsmarktexperten, ist die "Willkommenskultur" in Deutschland noch ausbaufähig. Programme zum Standortmarketing oder zur direkten Anwerbung wie etwa in Schwäbisch Hall gibt es in Hamburg nicht. Haben wir als Metropole noch nicht nötig, heißt es. Bundesweit jedoch gibt es das sogenannte Netzwerk Integration durch Qualifizierung, an das Hamburg angeschlossen ist. Dadurch sollen noch mehr Migranten in Jobs gebracht werden.

Schwäbisch Hall hatte sein Schicksal Anfang des Jahres selbst in die Hand genommen und einige ausländische Journalisten eingeladen. Madalena Queirós, Autorin des Hosianna-Artikels in Portugal, sagte dem Abendblatt: "Dass der Artikel so eine Welle lostreten könnte, hätte ich nicht geglaubt." Wenn sie nicht ein kleines Kind hätte, "würde ich sofort selbst nach Deutschland aufbrechen".