Um Betreuungsberufe attraktiver zu machen, sollen zwölf Jahre Schulbildung vorgeschrieben werden.Große Skepsis in Deutschland.

Berlin. Wer sich für die Krankenpflege entscheidet, muss bei seiner Ausbildung einiges hinter sich bringen: Allein 2100 Theoriestunden, dazu kommen 2500 Praxisstunden. Und auch der Job selbst ist für viele zwar schön, aber auch nicht immer einfach. Es kann anstrengend sein und hart, jeden Tag mit Krankheit und Leid konfrontiert zu werden. Physisch und psychisch müssen Krankenschwestern und -pfleger mitunter sehr belastbar sein - und nicht jeder findet den Wert seiner Arbeit angemessen belohnt, wenn es um das monatliche Gehalt geht. Um die 1600 Euro netto verdienen die Pflegenden im Schnitt - auch wenn der tatsächliche Verdienst je nach Region und Berufserfahrung variiert.

Die EU-Kommission plant, die Ausbildung für Krankenpfleger und Hebammen einheitlicher zu gestalten und die Zulassungsvoraussetzungen in allen Mitgliedstaaten auf das gleiche Niveau zu bringen. Demnach muss künftig jeder zwölf Jahre zur Schule gehen, bevor er eine Ausbildung in der Pflege antritt. Bislang sind in Deutschland anders als in anderen Mitgliedstaaten zehn Jahre Schule ausreichend - oder auch ein Hauptschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Bundesregierung findet, dass es künftig auch dabei bleiben soll, und lehnt den Vorstoß der EU ab. Auch die Opposition unterstützt sie dabei. "Wir müssen auch Haupt- und Realschülern die Möglichkeit geben, einen Pflegeberuf zu ergreifen", meint etwa Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

+++ Leitartikel: Pflege braucht Profis +++

Berufsverbände sind hingegen erleichtert. "Eine höhere allgemeine Bildung für die Pflegeausbildung ist der richtige Weg", sagte Gertrud Stöcker, Vizepräsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) dem Abendblatt. "Es ist notwendig , dass die Professionalisierung der Pflege und die Aufwertung des Berufsbildes in Deutschland vorangetrieben wird." Vor allem verweist sie auf die gestiegenen Anforderungen, denen sich Auszubildende in der Praxis stellen müssen. "Internationale Studien haben belegt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Personalqualifikation und der Versorgungsqualität der Patienten gibt", so Stöcker. "Je geringer die Personalqualifikation, desto mehr Komplikationen bis hin zu Todesfällen treten auf." Wichtig ist für sie zudem, dass zwölf Jahre Schulbildung nicht zwangsläufig eine Abiturpflicht bedeuten müssen. "Bei gutem politischen Willen" seien Alternativen möglich. "Denkbar wäre eine Kombination aus Schule und einer berufsvorbereitenden Ausbildung, etwa zur Pflegeassistenz." Der Vorschlag der EU-Kommission sehe so etwas ausdrücklich vor.

Für den Präsidenten der Bundesärztekammer , Frank Ulrich Montgomery, wären die Pläne dennoch eine deutliche "Überakademisierung" der Krankenpflege. Vor allem das Nachwuchsproblem würde so deutlich verschärft. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), gelernter Arzt, sieht es genauso. Und tatsächlich hängt der drohende Fachkräftemangel seit Jahren wie ein Damoklesschwert über der Pflegebranche. Bis 2020 werden nach Einschätzung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) rund 220 000 zusätzliche Vollzeit-Pfleger gebraucht. 2009 hat die Bundesregierung die Zulassungsvoraussetzungen deshalb auf Hauptschulniveau abgesenkt, um mehr Bewerber zu rekrutieren. Das habe jedoch "überhaupt nicht geholfen", bemängelt DBfK-Vize Stöcker - und verweist auch auf das europäische Ausland: Von den 27 EU-Mitgliedstaaten sind bereits in 24 Ländern zwölf Jahre Schulbildung vorgeschrieben. Der Bewerbermangel sei hier nicht so groß wie in der Bundesrepublik.

Doch auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sieht nicht, dass die Dauer der Schulzeit für Pflegende ausschlaggebend ist. "Entscheidend für die Qualifikation der Krankenpflegekräfte ist nicht die Dauer der Schulvorbildung, sondern die Qualität der Ausbildung", sagte sie dem Abendblatt. Die deutsche Ausbildung sei im internationalen Vergleich von hoher Qualität. Eine Aufwertung der Pflege könne nicht über die Ausgrenzung eines Großteils von potenziellen Bewerbern geschehen.

Die Senatorin befürchtet zudem einen "Systemwandel", sollte sich die EU durchsetzen: "Eine Steigerung der Zahl von Pflegekräften mit Hochschul-abschluss müsste aus Kostengründen zwangsläufig zu einem höheren Anteil an niedrig qualifizierten Pflegekräften führen", so Prüfer-Storcks. In anderen europäischen Ländern sei das bereits Realität. "Darüber hinaus soll in vielen Ländern der Ärztemangel kompensiert werden, indem Fachkräfte ärztliche Tätigkeiten übernehmen", befürchtet sie. "Die Pflege in Deutschland fordert Professionalisierung bezogen auf originär pflegerische Tätigkeiten, wie das Wund- oder Schmerzmanagement, nicht den ,Arzt light'".

Da die Bundesrepublik mit ihrem Verfahren in der EU bereits jetzt zur Minderheit zählt, wird sie kaum genug Verbündete finden, um die Pläne der Kommission zu verhindern. Setzt Berlin die neuen Regeln dann nicht um, könnten deutsche Pfleger nur noch schwer im Ausland arbeiten - und Berlin könne ein Vertragsverletzungsverfahren blühen. Immerhin würde die Reform nur für Berufsanfänger gelten. Wer heute in der Krankenpflege arbeitet, muss sein Abi nicht nachholen.