Bildungsministerin Annette Schavan über bundesweite Standards für das Abitur, den schlechten Ruf der Lehrer und die PISA-Studie 2012.

Berlin. Schulpolitik ist eine Dauer-Baustelle. Seit Jahren ringen Bund und Länder mit dem Problem, dass Lehrpläne und Abschlüsse in Deutschland nur schwer vergleichbar sind und Eltern und Schüler bei einem Umzug in ein anderes Bundesland vor großen Herausforderungen stehen. Im Interview mit dem Abendblatt mahnt Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) die Kultusminister, dieses Problem anzugehen - weil Bildung Ländersache ist, darf sich der Bund kaum einmischen. Auf einigen Feldern soll sich das jedoch bald ändern.

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Hamburger Abendblatt: Frau Schavan, Sie wollten als Kind Lehrerin werden. Hätte Ihnen der Job Spaß gemacht?

Annette Schavan: Ganz bestimmt. Berufe, in denen man mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, finde ich bis heute inspirierend.

Viele Lehrer beklagen sich jedoch über ihre Arbeitsbedingungen.

Schavan: Der Lehrerberuf ist einer der schönsten, aber auch einer der schwierigsten Berufe. Manche Lehrer fühlen sich in ihrem pädagogischen Bemühen allein gelassen. Dazu machen sie die Erfahrung, dass die Gesellschaft Bildung zwar sehr wichtig findet, dem Lehrerberuf aber längst nicht die Anerkennung zuteil werden lässt, die er braucht. Das schadet der Autorität der Lehrer und ist nicht in Ordnung.

Was kann man dagegen machen?

Schavan: Die Lehrer haben einen hohen Einfluss auf die Qualität von Schule. Ich habe den Ländern deshalb eine Exzellenzinitiative Lehrerbildung vorgeschlagen. Wir wollen Konzepte auszeichnen, die Fachausbildung am besten mit pädagogischen Kompetenzen, Erkenntnissen aus den Berufswissenschaften und der Bildungsforschung vereinen - das steigert auch die Attraktivität des Lehrerberufes.

Wie erklären Sie Eltern und Schülern, dass die deutsche Schullandschaft noch immer ein Flickenteppich ist?

Schavan: Ich sage seit Jahren: Vergleichbare Abschlüsse sind überfällig. Das Abitur aus Hamburg muss genauso viel wert sein wie das aus Bayern. Die Länder müssen jetzt die Standards erarbeiten. Die Bürger wollen nicht noch einmal zehn Jahre warten, bis die Vergleichbarkeit hergestellt ist.

Würde man schneller vorankommen, wenn sich der Bund finanziell in den Ländern engagieren dürfte?

Schavan: Mir scheint es so, dass nach dem Bund immer nur dann gerufen wird, wenn es ums Geld geht. Aber der Bund ist keine Sparkasse. Die Länder könnten eine ganze Reihe von Problemen sofort selber lösen.

Sie haben vor einiger Zeit dafür plädiert, das Kooperationsverbot zu kippen, das dem Bund untersagt, sich in die Bildungsfinanzen der Länder einzumischen. Wie wollen Sie Ihre Parteifreunde überzeugen?

Schavan: Wir haben auf unserem Parteitag ein Bildungspapier verabschiedet, das eine enge Kooperation von Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich vorsieht. Das können wir zügig schaffen - und so gemeinsam die Hochschulen in Deutschland voranbringen.

Das klingt, als sei die Aufhebung des Kooperationsverbots bei der Schulpolitik vorerst vom Tisch.

Schavan: Nein, ganz und gar nicht. Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit, die sich am Interesse von Schülern, Lehrern und Eltern und nicht an formalen Zuständigkeiten orientieren. Das bedeutet aber auch: In der Schulpolitik macht eine Abschaffung des Kooperationsverbots dann Sinn, wenn geklärt ist, wie Bund und Länder danach zusammenarbeiten wollen. Es kann nicht sein, dass die Länder nach Geld rufen, aber dann ganz allein bestimmen wollen, was damit geschieht.

Werfen wir einen Blick auf die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Welches Potenzial hat der CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager?

Schavan: Jost de Jager ist ein erfahrener Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, arbeitet also genau in jenem Schlüsselressort, in dem die Weichen für die Innovationskraft des Landes gestellt werden. Er ist ein sehr engagierter und erfolgreicher Politiker.

Das hilft nicht, wenn es die FDP nicht über fünf Prozent schafft.

Schavan: Jeder kämpft seinen Wahlkampf, und am Wahlabend stellt man fest, was möglich ist. So war das schon immer und so wird es auch in Schleswig-Holstein sein.

CDU und Grüne haben in Schleswig-Holstein nur wenig Berührungsängste. Eine Koalition im Norden könnte auch den Weg für den Bund ebnen ...

Schavan: Grundsätzlich sind viele Konstellationen möglich, das sehen wir an den Ländern. Ich bleibe jedoch Anhängerin einer bürgerlichen Koalition. Die Union passt gut mit der FDP zusammen. Auch wenn die Liberalen jetzt eine schwere Zeit durchmachen.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist neuer Präsident der Kultusministerkonferenz. Was geben Sie ihm in seinem neuen Amt mit auf den Weg?

Schavan: Ich habe Ties Rabe gestern einen handschriftlichen Brief geschrieben und ihm für seine Amtszeit eine glückliche Hand, gute Nerven und erkennbare Fortschritte in der Vergleichbarkeit der Abschlüsse in Deutschland gewünscht.

In Hamburg kämpft Rabe mit überfüllten Schulklassen. Wie viele Schüler sind pro Klasse gut?

Schavan: Bildungsforscher sagen uns, dass die Zahl der Schüler in einem Klassenraum nicht entscheidend ist. Der Faktor Klassengröße werde überschätzt. Es kommt vielmehr darauf an, dass das Konzept des Unterrichts zur Größe der Klasse passt.

Viele Lehrer klagen über die Anstrengung, die mit den großen Klassen verbunden ist.

Schavan: Ich weiß, dass den Lehrern dieses Thema stark unter den Nägeln brennt. In der Geschichte der Bundesrepublik war die Größe der Klasse immer die heikelste Frage für einen Kultusminister.

Was muss man tun, damit das nicht auch in den kommenden 100 Jahren so sein wird?

Schavan: In den kommenden zehn Jahren werden die Schülerzahlen in vielen Bundesländern zurückgehen. Das ist eine große Chance. Dadurch werden Ressourcen frei. Die gilt es zu nutzen für kleinere Klassen, besseres individualisiertes Lernen und damit auch weniger Stress für die Lehrer.

In diesem Frühjahr wird die neue PISA-Studie erarbeitet. Werden die deutschen Schüler dieses Jahr besser abschneiden?

Schavan: Deutschlands Schüler haben sich sowohl in Mathematik als auch bei Lesekompetenzen und den Naturwissenschaften kontinuierlich verbessert. Vor allem aus zwei Gründen schneiden wir bisher mit jeder Studie besser ab: Die Bundesregierung hat viel in die Integration von Zuwanderern und ihren Kindern investiert. Ihr Bildungsniveau konnte deutlich angehoben werden. Zum anderen zahlt sich der Ausbau der frühkindlichen Erziehung aus. Kinder kommen heute mit stärkeren Kompetenzen in die Schule.

Trotzdem zeigte die letzte Studie Schwächen bei Jungen und vor allem Jungen aus Zuwandererfamilien.

Schavan: Natürlich sind wir noch nicht dort, wo wir hinwollen. Aber ich bin mir sicher, dass Deutschland keinen PISA-Schock wie 2001 mehr erleben wird. Die Bildungsrepublik hat Stärken - nicht nur in der Schule. Vor allem die berufliche Bildung ist so stark wie in kaum einem zweiten Land. Unsere Jugendarbeitslosigkeit ist nur halb so hoch wie der Schnitt in Europa. Wir wollen jetzt daran arbeiten, dass die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Ausbildung und Hochschule noch besser wird.

Einen Schock erlebte Deutschland mit den Morden der Neonazis aus Thüringen. Brauchen wir mehr Aufklärung in den Schulen und mehr Forschung zum Rechtsextremismus?

Schavan: Die Regierung hat die Mittel gegen Rechtsextremismus zuletzt verdoppelt. Und auch in der Forschung gibt es exzellente Arbeiten. Entscheidend ist die Demokratieerziehung in der Schule gegen Ignoranz, Zynismus und Extremismus. Das ist die Königsaufgabe des Bildungssystems.

Reicht dafür der Unterricht in Gemeinschaftskunde aus?

Schavan: Nein. Aber der Unterricht wird ja bereits durch viele vorbildliche Projekte ergänzt, in denen Schüler ganz praktisch Demokratie erleben. Diesen Weg müssen wir weitergehen.