Die EU will zwölf Jahre Schule für Schwestern und Pfleger vorschreiben. Ausbilder im Kreis reagieren unterschiedlich auf das Vorhaben.

Kreis Pinneberg. Schulstunde im Praxisraum des Bildungszentrums der Gesundheits- und Pflegeberufe der Regio-Kliniken in Quickborn. Birgit Schneider sitzt auf einem Krankenbett, den rechten Arm hält sie ausgestreckt. Mitschülerin Andrea Geiger-Ortmann legt die Druckmanschette des Blutdruckmessgerätes an. Dann pumpt sie mit Hilfe des Gummiballs die Manschette auf.

Andrea und Birgit machen im ersten Jahr eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Innerhalb von drei Jahren lernen sie in 2100 Theorie- und 2500 Praxisstunden, Patienten zu betreuen. Die beiden Frauen haben einen Realschulabschluss und hätten diese Ausbildung nicht beginnen können, wenn die Vorschrift der EU-Kommission bereits umgesetzt worden wäre: Von 2013 an soll die zwölfjährige Schulausbildung Voraussetzung für alle Kranken- und Altenpflegeausbildungen sein. 24 EU-Länder haben dieses System bereits übernommen. Österreich, Luxemburg und Deutschland sind die einzigen, die sich der Regelung noch nicht angepasst haben. Österreich hat allerdings bereits zugestimmt.

+++ EU will Abitur-Pflicht für Krankenpfleger +++

"Sicher haben viele EU-Länder die Ausbildungsvoraussetzungen bereits angehoben, ein Erfolg ist damit aber nicht verbunden. In England zeigen sich gravierende Qualitätsmängel in der pflegerischen Versorgung durch die zunehmende Akademisierung der Pflege", sagt Ursula Hansen, Leiterin des Awo-Bildungszentrums Tornesch, das im Jahr bis zu 22 Altenpflegerauszubildende annimmt. Die Krankenpflegeausbildung, die in England in Form eines Universitätsstudiums geregelt sei, habe dazu geführt, dass nun viel mehr sogenannte Pflegehelfer am Bett arbeiten. Für diese Tätigkeit gebe es keine Ausbildung. Deswegen habe ein Krankenhausverband in Birmingham nun begonnen, Krankenschwestern wieder traditionell auszubilden.

Iris Gebh vom Bildungszentrum der Regio-Kliniken sieht in der belgischen Ausbildungsvariante ein gutes Vorbild. "Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Praxisausbildung und Studium."

"Der Beruf darf in der Zeit des Notstandes nicht akademisiert werden", sagt Franz-Ulrich Löning-Hahn, Einrichtungsleiter der Wohnpflege Wedel und Regionalkoordinator für Pflege im Kreis Pinneberg. Dieser Aussage stimmt Iris Gebh zu. "Eine Umsetzung ist sinnvoll, aber nicht bis 2013." Sie hält ein abgestuftes System für notwendig. "Jeder kann zurzeit alles. Es sollte unterschiedliche Ausbildungsberufe, Voraussetzungen und Bezahlung geben."

Nina Kallenbach hat eben ihre Ausbildung an der Altenpflegeschule der Awo Tornesch, an der zirka 160 Schüler unterrichtet werden, beendet. Rückblickend stellt sie fest, dass Mitschüler mit Abitur aus ihrem Kursus keine Vorteile hatten. "Eine Mitschülerin hatte ein abgeschlossenes Studium. Besonders im praktischen Teil war sie nicht besser als die Schüler mit Mittlerer Reife", sagt die 23-Jährige.

Iris Gebh, die unter den 83 Einstellungen im Jahr ein Viertel Abiturienten verzeichnet, sieht dagegen klare Vorteile für Schüler mit zwölfjähriger Schulausbildung. "Es fällt ihnen leichter, schwere Thematiken zu verstehen." Awo und Regio-Kliniken sind sich jedoch einig, dass ein Image-Wechsel stattfinden muss. "Die Pflegeberufe sind für Abiturienten bislang unattraktiv. Sie versprechen wenig Geld, eine starke, körperliche Belastung. In der Gesellschaft sind sie nicht hoch angesehen", sagt Ines Wiese, Einrichtungsleiterin bei der Wohnpflege Tornesch. "Bevor die Politiker die Zugangsvoraussetzungen ändern, sollten sie am Image arbeiten.

+++ Pflege braucht Profis +++

Zurück zur Schulstunde im Quickborner Praxisraum: Andrea Geiger-Ortmann sieht abwechselnd auf die Anzeige des Blutdruckmessgerätes und die Uhr an der Wand. Dann löst sie die Manschette von Birgit Schneiders Arm, schaut die Mitschülerin an. "120 zu 80. Ein gesunder Blutdruck. Damit wirst du hundert Jahre alt." 16 Mitschüler, darunter 13 junge Frauen und drei junge Männer, schauen und hören aufmerksam zu. Wäre die Zugangsvoraussetzung für ihre Ausbildung bereits auf die zwölfjährige Schulbildung angehoben worden, wäre das Klassenzimmer leer.