Der Bundespräsident will weitere Fragen beantworten, aber eine Flugaffäre belastet die Wulffs. Die Verteidigungsstrategie ist verworren.

Hamburg/Berlin. Jeder Satz liegt auf der Goldwaage: "Sie geben Menschen viel Wärme, Zuspruch, Mut und Hilfe." Das sagte die Bundespräsidenten-Gattin Bettina Wulff den Partnern der Diplomaten und den Vertretern von Wohltätigkeitsorganisationen beim Neujahrsempfang der First Lady im Schloss Bellevue. Dieser Satz sollte auch das Motto der Wulffs sein. Deutschlands erstes Paar sehnt sich nach einem Alltag ohne Aufregung.

Doch statt des gewohnten Geschäfts, des Business as usual hat eine neue Affären-Fußnote um ein Upgrade von der Touristen- in die Businessclass die Juristen auf Trab gehalten. Die Wulffs waren bereits einmal von Air Berlin komfortabler als gebucht befördert worden. Neu ist nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung ein Lufthansa-Flug von Miami nach Frankfurt im Jahr 2007. Sein Anwalt Gernot Lehr erklärte, Wulff habe für das Upgrade an Bord privat erworbene Meilen eingesetzt. Wie Vielflieger wissen, wird man allerdings im Flugzeug nur aus Gefälligkeit "nach vorn" befördert. Gesammelte Meilen müssen vor dem Einsteigen eingelöst werden. "Wenn sich ein Ministerpräsident von einer Fluglinie ein Upgrade geben lässt, kann das eine Vorteilsannahme sein. Denn der Fluglinie könnte es um eine Besserstellung des Ministerpräsidenten und nicht des Fluggastes gehen", sagte der Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, Otmar Kury, dem Abendblatt. "An der Integrität der Amtsführung dürfen keine Zweifel bestehen. Sonst wird das Amt beschädigt."

Ferdinand von Schirach lenkte den Fall Wulff auf ein neues Spielfeld. Der Bundespräsident könnte sich der versuchten Nötigung schuldig gemacht haben, als er "Bild"-Chef Kai Diekmann auf die Mailbox sprach, sagte er. Deutschlands meistgelesener Jurist - er schrieb die Bestseller "Verbrechen", "Schuld" und "Der Fall Collini" - findet Wulffs Erklärungen in der Kredit- und Drohaffäre "glitschig".

Von Schirachs Kollege Kury sagte dem Abendblatt: "Eine versuchte Nötigung sehe ich darin nicht. Der Versuch, die Berichterstattung zu verhindern, ist noch nicht strafbar." Doch der Vier-Minuten-Monolog auf der Mailbox bringt Wulff in die Bredouille. Kury sagte: "Sein Verhalten begründet den Vorwurf, die Rechtsordnung nicht zu respektieren. Das Bundesverfassungsgericht hat die Institutionsgarantie der Pressefreiheit hervorgehoben. Das heißt, wir brauchen eine unabhängige freie Presse, und zwar vom Beschaffen der Information bis zur Veröffentlichung. Das ist eine Frage der politischen Haltung des Bundespräsidenten." Tapfer steht Gernot Lehr im Feuer: Für mindestens 200 Euro die Stunde begründet der Anwalt, warum Wulff das Recht nicht gebeugt habe. Drei Juristen, drei Meinungen.

Lehrs Verteidigungsstrategie wird immer undurchsichtiger. Der Anwalt weigerte sich zunächst, die Fragen der Medien und Wulffs Antworten zu veröffentlichen. Dabei hatte Wulff das im Fernsehinterview versprochen. Zuletzt rechtfertigte Lehr die Geheimniskrämerei damit, dass die Medien ein Recht auf Vertraulichkeit hätten. Anwalt Kury meint: "Das ist konstruiert." Am Freitagnachmittag die nächste Wendung: Lehr sagte, Wulff wolle doch weitere Medienfragen und Antworten herausgeben. "Schnellstmöglich" sollen Fakten veröffentlicht werden, "soweit sie keine Persönlichkeitsrechte verletzen".

Anwalt Lehr, derzeit Wulffs inoffizieller Sprecher, ist ein Sohn der früheren Familienministerin Ursula Lehr (CDU), verteidigte bereits Bundespräsident Johannes Rau, der als Ministerpräsident die Flugzeuge der Landesbank WestLB genutzt hatte. Außerdem betreute Lehr die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die beide Dienstwagenaffären durchzustehen hatten.

34 Strafanzeigen gegen Wulff haben die Behörden in Hannover gezählt. In Stuttgart prüft die Staatsanwaltschaft, ob Wulff Beihilfe zur Untreue geleistet hat. Hat ein Mitarbeiter ihm einen günstigeren Kredit verschafft als üblich, könnte der Bank ein Schaden entstanden sein. Oder wollte die BW-Bank mit dem Kunden Wulff werben? Der Hamburger Top-Anwalt Kury sagte, es helfe Wulff nicht, wenn er den Vorteil zurückzahlen würde. "Beim Bankkredit muss man prüfen, ob auch ein anderer diese Konditionen bekommen hätte. Ohne Bedeutung wäre, wenn der einmal eingeräumte Vorteil nachträglich zurückgegeben wird."

Die Stimmung wendet sich weiter gegen das Staatsoberhaupt. 34 Prozent der Deutschen halten Wulff laut ZDF-Politbarometer für glaubwürdig, 61 Prozent glauben ihm nicht mehr. 50 Prozent wünschen sich Wulffs Verbleib im Amt, 44 Prozent plädieren für einen Rücktritt. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte in der "Hannoverschen Allgemeinen", dass Wulff offensichtlich die Affären aussitzen wolle.

Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, hat die Affäre um Wulff als andauernde "Selbstdemontage" des deutschen Staatsoberhauptes bezeichnet. Döpfner sagte beim Neujahrsempfang der "Berliner Morgenpost": "Die Angelegenheit hat mir - dazu gehört einiges - die Sprache verschlagen."