Die Generalsekretärin hat es nicht einfach. In der Wulff-Debatte pfeift SPD-Parteichef Gabriel sie öffentlich zurück. Nahles setzt auf Harmonie.

Berlin. Andrea Nahles setzt auf Harmonie. Die Bluse unter ihrem schwarzen Blazer trägt das gleiche Lila wie die große Stellwand in ihrem Rücken, ihre Lippen sind fast genauso rot wie die vielen quadratischen SPD-Logos im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der Sozialdemokratie. Die Generalsekretärin passt wortwörtlich gut ins Bild. Als Teil der SPD, die SPD als Teil von ihr. Alles ganz harmonisch eben. Und genau das ist auch die Botschaft, die Nahles an diesem Montag verkaufen will.

+++ Wulff-Affäre: Kein Dissens mit Gabriel +++
+++ Nahles wirbt für politikfreien Sonntag +++

Fünfmal muss sie in ihrer ersten Pressekonferenz im neuen Jahr wiederholen, dass es "überhaupt keinen Dissens" mit Parteichef Sigmar Gabriel gebe, dass beide "völlig einer Meinung" seien, dass man sich also "einig" sei und dass sie, Nahles, alles ganz anders gemeint habe, als es nach ihrem Interview mit der "Bild am Sonntag" interpretiert worden war.

Um Bundespräsident Christian Wulff war es darin gegangen, und Nahles hatte gesagt, wenn es nun nach Horst Köhler erneut zu einem Rücktritt käme, müssten Neuwahlen her. Gabriel hielt jedoch noch am selben Tag dagegen und widersprach der Neuwahlforderung - ebenfalls öffentlich. Eine schallende Ohrfeige für Nahles.

Dass es im Verhältnis Gabriels zu seiner Generalsekretärin nicht zum Besten bestellt ist, ist hinlänglich bekannt - auch wenn dies erst Anfang Januar aus der Partei vehement dementiert wurde. Schon vor einer Woche gab es Irritationen, als berichtet wurde, Gabriel traue Nahles die Organisation des Bundestagswahlkampfes 2013 nicht zu und werde diese Aufgabe daher lieber selbst übernehmen. "Quatsch", lautete die Reaktion des Parteichefs. Dass Nahles den Wahlkampf leiten werde, sagte er aber auch nicht.

Vorfälle wie diese lassen aufhorchen. Nach der schweren Wahlniederlage und dem Absturz auf 23 Prozent im Herbst 2009 hat sich die Partei zwar vor allem dank Gabriel und Nahles wieder berappelt, ist aber weiter auf der Suche nach dem Thema, mit dem sich die Regierungsmacht 2013 zurückerobern lassen könnte. Selbstbeschäftigung soll dieses Thema jedoch nicht lauten. Deshalb wird nicht nur die Debatte um den SPD-Kanzlerkandidaten im Keim erstickt, auch eventuelle Zerwürfnisse werden abgewiegelt oder - wie gestern demonstriert - mit möglichst viel Harmonie übertüncht. Für Nahles bedeutet das an diesem Montag, vorerst klein beizugeben. Zwar sei sie richtig zitiert worden, Neuwahlen seien jedoch keine Forderung, sondern nur eine Schlussfolgerung gewesen, sagt sie.

Dennoch muss sie sich nun einmal mehr die Frage stellen, welche Rolle sie hinter Gabriel künftig einnehmen will. Mehr General oder mehr Sekretärin? Die "Abteilung Attacke", die in einer Partei typischerweise dem Generalsekretär zufällt, haben in den vergangenen zwei Jahren jedenfalls mehr und mehr der Parteichef und auch Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann übernommen. Hinter beiden verschwindet Nahles, wenn im politischen Berlin die großen Schlachten geschlagen werden.

In Parteikreisen räumt man ein, die Sache mit dem Nahles-Interview und Gabriels Konter sei nicht gut gelaufen und wohl schlecht abgestimmt worden. Deutlicher wird der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner: "Es war richtig, dass Parteichef Gabriel unserer Generalsekretärin in diesem Punkt widersprochen hat", sagte er dem Abendblatt. Nahles habe mit ihrer Forderung nach Neuwahlen falsch gelegen. "Der Schaden für das Amt des Präsidenten durch die Affäre um Wulf trifft uns alle. Da sollten wir keine parteipolitischen Vorteile suchen."

Und noch ein anderer macht es Nahles gerade schwer: Peer Steinbrück. Denn während Nahles sogar an einen Gesetzesentwurf für die Aussetzung der umstrittenen Rente mit 67 denkt, hält der Ex-Finanzminister an dem Beschluss fest und schlägt eine "völlige Flexibilisierung des Pensionseintrittsalters" bei gleichzeitiger Erhöhung der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit vor. Bei ihrem Parteitag im Dezember hatte sich die SPD für einen vorübergehenden Stopp der Rente mit 67 ausgesprochen, bis die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat. Derzeit trifft dies auf nur ein Viertel zu. "Steinbrücks öffentliche Wortmeldung zur Rentenpolitik wird von der gewählten Führung der SPD nicht geteilt", stellte Stegner klar. "Ein Festhalten an der Rente mit 67 gegen unseren Parteitagsbeschluss hat in der SPD keinen Rückhalt."

Auch Mitglieder des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, bisher seine Unterstützer, rücken von Steinbrück ab. "Das Aussetzen der Rente mit 67 wäre richtig", sagte der Seeheimer-Chef Garrelt Duin, dem "Spiegel".

Für Steinbrück, der heute 65 Jahre alt wird, könnte die Kritik die Chancen auf eine Kanzlerkandidatur schmälern. Neben Gabriel, der sich mit seinen Einlassungen mehr denn je in Stellung bringt, und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zählt er zu den Favoriten. Doch die Parteilinke hat Steinbrück längst gegen sich aufgebracht, und jetzt ist auch die Parteirechte düpiert. Stegner wird deutlich: "Am Ende braucht die SPD den Kandidaten für die Wahl, der das Profil der Gesamtpartei am besten vertreten kann."

Generalsekretärin Nahles macht bei dem Thema das, was die SPD-Spitze immer macht, wenn es um die K-Frage geht: Sie wiegelt ab. "Allerfrühestens" Ende 2012 werde eine Entscheidung fallen. So viel ist klar: In diesem Punkt wird ihr Gabriel nicht widersprechen.