Aber der gemeinsame Kompass fehlt Generalsekretärin Nahles und Parteichef Gabriel

Die meisten deutschen Parteien haben einen Generalsekretär oder eine Generalsekretärin. Seit 1999 auch die SPD - obwohl viele Genossen damit lange fremdelten, weil die Berufsbezeichnung durch die Staatsparteien kommunistischer Diktaturen in Verruf geraten war. Schließlich aber siegte auch im Willy-Brandt-Haus der Wunsch, jemanden in der ersten Reihe zu haben, der, mehr als es etwa ein Bundesgeschäftsführer kann, die Abteilung Attacke vertritt. Dafür steht schon der "General" im Titel.

Wirksame Angriffe auf den politischen Gegner gelingen aber nur, wenn sich Vorsitzender und Generalsekretärin auch in der Stoßrichtung einig sind. Und da sind beim derzeitigen SPD-Spitzenduo Gabriel/Nahles Zweifel angebracht. Erst zum Jahreswechsel gab es Gerüchte, SPD-Chef Sigmar Gabriel wolle den kommenden Bundestagswahlkampf allein in die Hände nehmen, weil er das seiner Generalsekretärin nicht zutraue. Er ließ das umgehend dementieren. Am Wochenende nun trat Andrea Nahles mit der Forderung nach Neuwahlen an die Öffentlichkeit, falls Bundespräsident Wulff zurückträte. Was Gabriel umgehend zurückwies, worauf Nahles gestern wiederum versuchte zu behaupten, sie sei mit ihrem Vorsitzenden auf einer Linie. Koordiniertes Vorgehen sieht anders aus.

Vielmehr dürfte es so sein, dass Gabriel seine Generalsekretärin erträgt, solange sie wichtige Teile der Partei bei Laune hält. Nahles zählte schon zu den führenden parteiinternen Kritikern gegen Gerhard Schröders Agenda 2010, trieb 2005 den damaligen Vorsitzenden Franz Müntefering in die Resignation, hatte im Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin eine andere Meinung als Gabriel und lehnt jetzt die Rente mit 67 ab, bevor es nicht genügend Arbeitsplätze für Ältere gibt. Kurz: Ihre Attacken richten sich allzu oft gegen die eigenen Reihen, beziehungsweise gegen die eigene Parteiführung.

Das geht allenfalls in Zeiten gut, in denen die SPD ganz bequem von den Schwächen der Union und der FDP leben kann, solange die Kanzlerin wegen der Turbulenzen um den Bundespräsidenten unter Druck ist und die Liberalen sich in Selbstauflösung befinden. Da wird schon mal das Fell des Bären verteilt, ehe der erlegt ist - und Angela Merkel großzügig die überparteiliche Suche nach einem geeigneten Kandidaten für das Schloss Bellevue angeboten. Ein netter Versuch, aber angesichts der Euro-Krise und aller damit verbundenen Probleme, die Deutschland auch im neuen Jahr begleiten werden, alles andere als die reine Seriosität.

Spätestens wenn die SPD sich aber ernsthaft für den Bundestagswahlkampf 2013 positionieren muss, wird sie bei Fragen wie der Rente mit 67 Farbe bekennen müssen, wird erklären müssen, ob sie noch zu den eigenen Reformen am Arbeitsmarkt steht, muss schlüssig darlegen, wie sie die Finanzkrise zu lösen gedenkt. Sie kann sich dann auf einen pragmatischen Kurs festlegen, wie ihn der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück vertritt. Der ist momentan in den eigenen Reihen nicht besonders angesehen. Steinbrücks Klartext kommt aber bei den Wählern gut an - nicht unwesentlich für eine Partei, die zurück an die Regierung will. Auch Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier könnte ihn verkörpern, Gabriel selbst - vielleicht mit etwas mehr sozialdemokratischem Herzblut versehen - auch. Nur über einen gemeinsamen Kompass verfügen Parteichef und Generalsekretärin nicht.

Angesichts der Turbulenzen, in die sich die schwarz-gelbe Koalition in Berlin manövriert hat, können die Sozialdemokraten auf einen starken Wechselwunsch der Wähler im Jahr 2013 hoffen. Als überzeugende Alternative müssen sie sich selbst präsentieren. Da ist inhaltlich wie personell noch viel Luft nach oben. Besonders in der Abteilung Attacke.