Zwei Wochen vor der Wahl erntet die Linken-Kandidatin heftige Kritik. Jochimsen will die DDR nicht als Unrechtsstaat bezeichnen.

Hamburg/Berlin. Knapp zwei Wochen vor der Wahl zum Bundespräsidenten erntet die Kandidatin der Linken, Luc Jochimsen, heftige Kritik. Ihre Weigerung, die DDR juristisch als "Unrechtsstaat" einzustufen, löste sowohl in der schwarz-gelben Koalition als auch in der Opposition starke Reaktionen aus. Jochimsen verhöhne die Opfer des DDR-Unrechtsregimes, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Jochimsen hatte im Hamburger Abendblatt gesagt, die DDR sei "ein Staat, der unverzeihliches Unrecht an seinen Bürgern begangen hat. Nach juristischer Definition war sie allerdings kein Unrechtsstaat." Gröhe wies diese Ansicht scharf zurück. "Frau Jochimsen ist nicht in der Lage, die DDR als das zu bezeichnen, was sie war: ein Unrechtsstaat, der mit Mauer, Stacheldraht und Stasi-Terror das Volk unterdrückt hat."

Der Vizepräsident des Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), verurteilte die Äußerungen von Jochimsen ebenso deutlich. Ihre Aussagen seien "schäbig und beschämend. Sie verfälscht die Realität in der DDR. Mit ihrer Äußerung unterwirft sie sich offensichtlich einer mehrheitlichen Stimmungslage unter den Mitgliedern der Linkspartei", sagte Thierse dem Abendblatt. Er hielt dagegen: "Die DDR war sogar nach der eigenen politischen Selbstdefinition kein Rechtsstaat. Es gab keine unabhängige Justiz - und das war Teil der Ideologie dieser Diktatur."

Auch Katrin Göring-Eckardt, ebenfalls Vizepräsidentin des Bundestags, attackierte die Aussagen der Kandidatin der Linken: "Jochimsen tut sich und ihrer Partei und vor allem der Gesellschaft mit ihren Äußerungen keinen Gefallen. Sie ordnet sich blind der Parteilinie unter und redet den alten SED-Kadern nach dem Mund", sagte die Grünen-Politikerin dem Abendblatt. "Wer jetzt, wie Frau Jochimsen, bloß auf eine juristische Debatte ausweicht, will nichts anderes, als zu den Traditionalisten in der Linkspartei anschlussfähig zu bleiben", sagte Göring-Eckardt. Auch sie unterstrich noch einmal das Unrecht, mit dem die SED in der DDR regiert habe. "Die DDR war ein Unrechtsstaat. Denn jederzeit konnte jedes Recht außer Kraft gesetzt werden, wenn es den Partei- und Staatsfunktionären dieses Staates gepasst hat", so Göring-Eckardt. Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) griff die SED-Diktatur aus Anlass des Jahrestages des blutig niedergeschlagenen Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 scharf an: "Die DDR war ein Unrechtsstaat", sagte die Ministerin. Sie verwies auf die "Totalüberwachung der Bürger", die "Willkür der Sicherheitsbehörden" und auf den Schießbefehl an der Mauer.

Mit einer Gedenkstunde hat der Bundestag gestern an den Volksaufstand erinnert. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nannte den 17. Juni 1953 ein Schlüsselereignis in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) legten Kränze am Denkmal für die Opfer des Aufstands auf dem Berliner Friedhof Seestraße nieder. Nach den Worten der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan war die Niederschlagung eine "Kapitulationserklärung" der SED an die eigene Bevölkerung. Die damaligen Forderungen der Aufständischen nach Recht und Freiheit seien aber unverändert aktuell. "Zurück in eine Diktatur will heute kaum einer. Aber viele plagen heftige Zweifel an der Fähigkeit der politischen Demokratie, die drängenden Probleme zu lösen", mahnte Schwan im Bundestag. Zwar stehe im vereinten Deutschland kein neuer 17. Juni bevor. "Doch dass es unter der Oberfläche gärt, kann niemand abstreiten."

Luc Jochimsen tritt gegen den Unionskandidaten Christian Wulff (CDU) und den Kandidaten von SPD und Grüne, Joachim Gauck, im Rennen um das Präsidentenamt an. Erst gestern hatte der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) neue Unruhe ins Regierungslager gebracht, wo es etliche Sympathien für den Oppositionskandidaten Gauck gibt: Biedenkopf forderte von Kanzlerin Angela Merkel die "Freigabe" der Wahl des Bundespräsidenten. Sie solle den von der CDU gestellten Mitgliedern der Bundesversammlung freistellen, ob sie Wulff ihre Stimme geben wollen oder Gauck, schrieb der CDU-Politiker in der "FAZ". Eine durch Appelle an die Geschlossenheit der Koalition herbeigeführte Mehrheit für den Präsidenten wäre verfassungspolitisch fragwürdig.