Wird Ursula von der Leyen die erste Frau im Amt des Bundespräsidenten? Das wäre die Krönung einer Karriere, die in der Geschichte dieses Landes beispiellos ist

Diese Frau kann alles und ist alles, was sich eine Kanzlerin nur wünschen kann. Sie ist promovierte Ärztin, dazu "Master of Public Health", sie hat sieben Kinder, sie ist die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, und sie lebt in einem Bauernhaus. Sie verkörpert ein modernes Frauenbild, hat Glanz, ist charmant und lächelt professionell. Sie kann regieren und reformieren, kennt die Kommunalpolitik, die Landes- und die Bundespolitik. Sie spricht druckreif und deutlich wie eine Logopädin. Sie ist die Ideale. Für Angela Merkel.

Die Bundeskanzlerin hat sich offenbar festgelegt. Sie möchte Ursula von der Leyen ab dem 30. Juni im Schloss Bellevue sehen. Die Arbeitsministerin der CDU ist nun die Favoritin. Die Namen der Konkurrenz, Norbert Lammert etwa oder Wolfgang Schäuble, sind kaum noch zu hören.

Setzt sich Merkel in den letzten Gesprächen mit den Spitzen von CDU, CSU und FDP durch, dann könnte Deutschland bald zwei Frauen an der Spitze des Staates haben. Zwei Frauen von der CDU - die in ihren Lebensentwürfen gegensätzlicher kaum sein könnten. Merkel würde einen Coup landen: Mit 51 Jahren wäre von der Leyen auch noch das jüngste Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik.

Und eines, das vor zehn Jahren erst politisch aktiv wurde. So eine Biografie gibt es nicht noch einmal.

Lange hatte sie sich also ferngehalten von der Politik. Ursula von der Leyen arbeitete erst in einem Krankenhaus, bekam ihre Kinder, ging einige Jahre in die USA, ein stilles CDU-Mitglied. Erst 2001 traute sich die Ministerpräsidenten-Tochter ins Feld ihres Vaters, bewarb sich als Stadträtin in Sehnde, einer kleinen Nachbarstadt von Hannover, wurde gewählt und gleich CDU-Fraktionschefin. Als Christian Wulff 2003 in die niedersächsische Staatskanzlei zog, gewann von der Leyen gleichzeitig ein Landtagsmandat. Wulff machte sie umgehend zur Gesundheits- und Sozialministerin. Ein Jahr danach saß sie schon im CDU-Präsidium. Es war der Beginn eines besonderen Verhältnisses zu Angela Merkel. Der CDU-Vorsitzenden gefiel, mit welcher Selbstverständlichkeit und scheinbaren Leichtigkeit von der Leyen Mutter und Ministerin in einem war, wie sie notfalls auch am Handy ihre Kinder erzog, wenn es doch mal länger wurde an einem Abend.

Diese Leichtigkeit gefiel nicht allen. Man warf ihr wiederholt vor, sie missbrauche ihre Kinderschar für politischen Zwecke. Zumindest während ihrer Zeit als Landesministerin war die Familie fester Bestandteil der öffentlichen Person Ursula von der Leyen. In Hannover besuchten sie ihre Kinder im Ministerium, um dort mit der Mutter Mittag zu essen und auch dort die Hausaufgaben zu machen. Andere Mütter im Ministerium sollten die gleichen Rechte haben. Also ließ von der Leyen ein Mutter-Kind-Büro einrichten. Keine Mutter sollte sich nur krankschreiben, um am Ende zu Hause auf die Kinder aufpassen zu können. Von der Leyen selbst ließ sich mit ihren Kindern fotografieren, auch die Ponys und Ziegen durften abgebildet werden. Das eigene Leben wurde zum Modell für die Politik.

Merkel fand das gut. Für ihr Personaltableau bei der Wahl 2005 plante sie die Landesministerin fest ein. Und von der Leyen, bundespolitisch noch unbekannt, machte Wahlkampf in eigener Sache. Als sie Familienministerin der Großen Koalition wurde, war niemand mehr überrascht.

Im Kabinett gehörte sie von Beginn an zu den erfolgreichsten Ministern. Sie stand für eine Familienpolitik, die auch in den eigenen Reihen auf Widerstand stieß und in der SPD für Staunen und Annerkennung sorgte: Mit dem Elterngeld und der zusätzlichen Einführung der Vätermonate räumte sie mit veralteten Rollenbildern auf und erleichterte die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Eine alte Forderung der SPD. Nun aber konnte sich die CDU als Reformmotor der Familienpolitik verkaufen. Vor von der Leyen wäre ein solcher Gedanke absurd gewesen. Manchen ging dieser Reformdrang zu weit. Merkel aber mischte sich kaum ein, weil ihre Ministerin sich durchaus selbst verteidigen konnte und in der Union allein an Ansehen gewann, weil sie als gelebtes Vorbild einer bürgerlichen Moderne neue Wählerschichten ansprach. Als Arbeitsministerin hingegen hatte sie kaum Zeit, entscheidende Akzente zu setzen.

Beliebt ist sie trotzdem geblieben, auch in der Partei. Interne Kritiker an Merkels Wunschpersonalie stammen allein aus den konservativen CDU-Landesverbänden im Süden der Republik. Ihnen käme eine Bundespräsidentin von der Leyen wohl vor wie die Fortsetzung des Kurses, den Merkel in einer Talkshow so beschrieb: "Ich bin mal liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ." Genau das ist auch von der Leyen. Sie ist die Merkel-CDU und nicht die CDU der Koch- und Mappus-Freunde. Über sich sagte sie einmal: "Vielleicht passe ich in keine Schublade, so wie ich lebe - und was ich tue."

In der Bevölkerung genießt sie von allen Kandidaten das größte Vertrauen. Eine repräsentative Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der "Bild"-Zeitung ergab gestern, dass von den 1000 Befragten 34 Prozent die CDU-Politikerin als bestes Staatsoberhaupt für Deutschland halten. Auf Platz zwei kam Christian Wulff mit 13 Prozent. Für Finanzminister Wolfgang Schäuble sprachen sich zehn Prozent aus.

Diese Umfrage mag eine Momentaufnahme sein. Für Merkel aber kommt sie zum richtigen Zeitpunkt. Setzt sie sich durch mit von der Leyen, hätte sie das richtige Gespür gehabt. Gerade in den vergangenen Monaten, als der Kanzlerin Wankelmut in der Finanz- und Wirtschaftskrise attestiert wurde, war das Vertrauen der Bürger in Merkel erschüttert worden. Ihre Beliebtheitswerte sanken - die Werte von der Leyens nicht. Und die Ministerin hat noch einen gut bei ihrer Kanzlerin. Im vergangenen Herbst wollte von der Leyen unbedingt Gesundheitsministerin werden. Zusammen mit Philipp Rösler hatte sie die Grundlagen der schwarz-gelben Gesundheitspolitik ausgehandelt und fest damit gerechnet. Sie hatte sich schon Monate zuvor als die wichtigste Gesundheitsexpertin ihrer Partei in Position gebracht.

Merkel aber überließ der FDP in letzter Minute das Ressort, Rösler wurde von FDP-Chef Guido Westerwelle überredet, und von der Leyen stand - vielleicht zum ersten Mal überhaupt in ihrer Karriere - düpiert da. Sie musste bleiben, was sie war. Vorerst. Erst als Franz Josef Jung als neuer Arbeitsminister über die Kundus-Affäre stolperte, konnte Merkel ihr endlich einen Aufstieg anbieten: Das Arbeitsressort verwaltet immerhin den größten Etat der Regierung. Von der Leyen griff zu.

Niemand zweifelt daran, dass sie diesmal wieder zugreift. Mit ihrer Nominierung nimmt Merkel zugleich auch eine Schwächung der Bundesregierung in Kauf. Die Kanzlerin würde eine Politikerin aus dem Tagesgeschäft entfernen, die der CDU noch großen Nutzen hätte bringen können. Im Moment wirkt von der Leyen wie das letzte optimistische Gesicht der kriselnden Koalition, als die Person, die einen Aufbruch glaubhaft vermitteln und trotz Wirtschaftskrise auf positive Entwicklungen am Arbeitsmarkt verweisen kann. Sie hätte eines Tages auch Kanzlerkandidatin sein können. Das Amt der EU-Kommissarin ist ihr angeblich schon angetragen worden. Vielleicht hätte sie auch Nachfolgerin von Ministerpräsident Wulff werden können und damit Nach-Nach-Nachfolgerin ihres Vaters. Aber das waren Gedankenspiele zu einem Zeitpunkt, als Horst Köhler bis 2014 noch als fest verplant galt.

Nun geht alles schneller. Der beispiellose Aufstieg von der Leyens nimmt vermutlich seine letzte steile Kurve. Wie muss man sich von der Leyen als Bundespräsidentin vorstellen? In jedem Fall als eine, die rhetorisch dem Amt gewachsen ist. Vor allem ihre Kommunikationsstärke, ihre Überzeugungskraft hat sie dorthin geführt, wo sie heute steht. Nach Horst Köhler scheint die Sehnsucht besonders groß nach einem Menschen, der Schwieriges erklären kann und auch erklären will. Am Anfang würde man sie erst recht als Mutter der Nation darstellen. Und vermutlich hätte sie nichts dagegen. Sie wäre die Familien-Präsidentin, die Fürsorgliche, die Warme, in dem Sinne nicht nur der Gegenentwurf zu Merkel, sondern auch zu dem hölzernen Wirtschafts- und Finanzexperten Köhler.

Vieles mehr wäre auf einen Schlag anders im Schloss Bellevue. Als Bundesministerin ist es ihr bisher gelungen, abends wieder bei ihren Kindern und ihrem Mann zu sein. Im Moment ist es noch schwer vorstellbar, dass Heiko von der Leyen den Hausherrn im Schloss Bellevue gibt. Der Geschäftsführer eines Unternehmens in Hannover, das für die Pharmabranche klinische Studien durchführt, scheut die Öffentlichkeit so sehr wie Merkels Mann, der Chemie-Professor Joachim Sauer. Fünf der sieben Kinder gehen auch noch zur Schule.

Und dann ist da noch Ernst Albrecht, ihr Vater, der an Demenz leidet und der mit im Hause von der Leyen lebt. Um ihn kümmert sie sich auch noch, wann immer es die Zeit erlaubt. Warum also soll es nicht eine Bundespräsidentin geben, die in ihrem Bauernhaus bei Hannover schläft und im Schloss Bellevue arbeitet? Von der Leyen ist zuzutrauen, dass sie es auch auf diesen Spagat einfach ankommen lässt.