Die Aschewolke zwingt alle zum Improvisieren: Regiert wird aus dem Koffer, man lernt neue Leute kennen, und manche genießen das sogar.

Hamburg. Wenn unter dem Stichwort "Aschewolke" derzeit eine Haltung angebracht ist, dann die der heiteren Resignation. Nichts fliegt, und deshalb regieren auch in der Politik das Provisorium und die Kunst der Improvisation. Ganz zum Stillstand kommt die Politik zwar nicht. Aber sie wird beherrscht von der Frage: Wer ist eigentlich gerade wo?

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) konnte Eindrücke im frühlingshaft ergrünten Südeuropa sammeln, denn er reiste von Istanbul aus im Minibus und ab Ungarn per Propellerflugzeug im Sichtflug zurück nach Deutschland. Nach einem Truppenbesuch in Afghanistan war er am Freitag mit fünf verletzten Soldaten in Istanbul gestrandet. Vom Bosporus nach Berlin sind es immerhin noch etwa 2200 Kilometer.

Die Aschewolke hat etwas Demokratisierendes. So wie Tausende anderer Menschen - Touristen, Geschäftsleute, Privatreisende - müssen auch Politiker alle Pläne umschmeißen, müssen auf Busse, Bahnen und Pkw umsteigen, Pannen aushalten, sich mit Schnellkost begnügen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mitsamt ihrer Delegation auf dem Rückweg von San Francisco schon eine Irrfahrt via Lissabon und Rom erduldet hatte, startete gestern Morgen in Bozen (Südtirol) per Bus zur letzten Etappe nach Berlin. Vor ihrem Hotel mit Blick auf die Berge hatte sich eine kleine Schar von Fans eingefunden, die in ihr vor allem die Dolomiten-Kletterfrau sehen. Ein dreigängiges Menü lehnte sie dankend ab zugunsten einiger Teigtaschen.

Die Irrfahrt der Regierungschefin zusammen mit einem Pulk begleitender Journalisten hatte zunehmend etwas Filmhaftes bekommen. Aus dem B-Movie mit Vulkanausbruch und Staubteilchen war ein Roadmovie mit einem gewissen Coolness-Faktor geworden, eine Art Bigband auf Tour.

Am Sonnabend war der Bus nahe Florenz noch mit einer Reifenpanne liegen geblieben, auf einer Autobahn ohne Standstreifen. Die Schicksalsgemeinschaft der Insassen schickte Fotos und Super-8-Filme nach draußen, Leute winkten aus vorbeifahrenden Autos, und an einer Tankstelle hinter dem Brenner stand ein Fernsehteam.

Niemand hätte es Merkel verübelt, wenn sie sich schon nach Lissabon von der Gruppe getrennt hätte und allein nach Berlin gereist wäre. Aber Merkel blieb, regierte unterwegs quasi aus dem Koffer und per Handy und verlor ihre Da-müssen-wir-durch-Stimmung nicht: "Uns geht es wunderbar", sagte sie bei der Abfahrt in Bozen. "Wir haben uns hier sehr wohlgefühlt."

Klar war allerdings, dass sie es zum Staatsbegräbnis für den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und seine Frau Maria in Krakau nicht rechtzeitig schaffen würde. Schon am Sonnabend habe die Kanzlerin dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski telefonisch "mit dem Ausdruck größten Bedauerns" abgesagt, teilte ihre Sprecherin Sabine Heimbach mit.

Wegen der Aschewolke schrumpfte die Teilnehmerliste des Staatsbegräbnisses am Wochenende fast stündlich zusammen. Nach US-Präsident Barack Obama sagten am Sonnabend auch der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer ihre Teilnahme ab. Ebenso Schwedens König Carl XVI. Gustaf, der spanische Monarch Juan Carlos I. und der britische Thronfolger Prinz Charles.

Einer jedoch trotzte allen Staubpartikeln und flog mit einer Sondermaschine nach Krakau, so als sei das Flugverbot nur eine neurotische Einbildung: Russlands Präsident Dmitri Medwedew. Für Bundespräsident Horst Köhler und Bundesaußenminister Guido Westerwelle wurde die Krakau-Reise zu einem Gemeinschaftserlebnis: Sie saßen im Hubschrauber mit 27 Musikern der Berliner Philharmoniker und deren Dirigenten Simon Rattle, die den Trauerakt begleiteten.

+++ ZUM ASCHEWOLKE-LIVETICKER +++

Dass der Vulkan unter dem Gletscher Eyjafjallajökull weiter Dampf und Asche spuckt, könnte die Zwangspause verlängern. Gestern sollte der Oberbefehlshaber der Nato-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, in Berlin eintreffen, um mit Verteidigungsminister zu Guttenberg und Außenminister Westerwelle zu sprechen. Sein Besuch wurde um 24 Stunden verschoben.