Die Opposition spricht von “Ostergag“ und wirft dem Gesundheitsminister Ablenkung vor NRW-Wahl vor. Ärztevertreter sind skeptisch.

Berlin. Die Zahlen sind dramatisch. In Niedersachsen fehlen 678 Allgemeinmediziner, in Sachsen-Anhalt 248, in Nordrhein-Westfalen 493. Und so könnte man weitermachen. Eine Besserung ist nicht in Sicht: Bis 2020 werden 58 000 niedergelassene Ärzte in den Ruhestand gehen.

Die desolate Lage hat Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler dazu bewegt, eine "Landarztquote" anzuregen. Wer sich verpflichte, in einem unterversorgten Gebiet zu arbeiten, solle bei der Studienplatzvergabe bevorzugt werden, hat der FDP-Politiker vorgeschlagen.

Oppositionspolitiker halten das für den falschen Weg. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach bezeichnete Röslers Vorstoß gestern als "Ostergag". Lauterbach schlug stattdessen vor, die Zahl der Studienplätze insgesamt zu erhöhen und die Hausärzte besser zu bezahlen. "Wenn der Facharzt in der Stadt mehr verdient als der Hausarzt auf dem Land, nutzen auch neue Auswahlverfahren und Quoten nichts", sagte Lauterbach der "Passauer Neuen Presse". Martina Bunge, die Gesundheitsexpertin der Linkspartei, warf Rösler vor, mit der Landarztquote vor der NRW-Wahl noch schnell von seinen Plänen zur Einführung einer Kopfpauschale ablenken zu wollen.

Nicht einmal aus Niedersachsen erhielt Rösler Unterstützung. "Quoten helfen uns überhaupt nicht weiter", sagte Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) der "Financial Times Deutschland". Eine Landarztquote sei weder mit der Freiheit der Lehre vereinbar, noch passe sie zur Lebenswirklichkeit von Studienanfängern.

Macht die Quote den Landarztberuf tatsächlich attraktiver?

Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, meldete starke Bedenken an. Deutschland verliere zurzeit 40 Prozent seiner Ärzte an andere Bereiche. "Die fangen nach dem Studium bei Lufthansa an, bei Versicherungen oder in der Politik, wo sie, wie man sieht, auch Gesundheitsminister werden können", sagte Weigeldt dem Abendblatt. Er sei deshalb nicht überzeugt, dass eine Quote zur richtigen Auswahl verhelfen würde. Man müsse sich sogar fragen, ob der Arztberuf dadurch wirklich attraktiver würde oder ob man ihm nicht vielmehr einen Malus anheftete. "Nach dem Motto: 'Das wollen nicht genug Leute machen.'" Hauptproblem, so Weigeldt, seien die Arbeits- und Honorarbedingungen. "Bei den Einkommen geht es gar nicht vorrangig um die absolute Höhe, sondern darum, dass es im KV-System keine Kalkulierbarkeit gibt. Wir brauchen eine Honorarordnung, die sich nicht länger in Punkten und in Einzelleistungen ergeht, sondern kalkulierbare und ausreichend hohe Honorare ausweist." Außerdem müsse die immer weiter ausufernde Bürokratie drastisch minimiert werden.

Ärzte zweiter Klasse?

Der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Münster, Bernhard Marschall, nannte die Landarztquote ein fatales Signal. "Das würde doch nahelegen, dass wir auf dem Land weniger gut qualifizierte Ärzte brauchen als vielleicht im Krankenhaus oder in der Stadt. Der Allgemeinmediziner auf dem Land ist aber eine sehr wichtige Stellschraube im Gesundheitssystem. Wenn dieser Arzt nicht den kompletten Fachüberblick hat, läuft gleich am Anfang einer Behandlung vieles falsch, die Weichenstellung dort ist enorm wichtig. Es wäre das falsche Signal auch an die Bevölkerung, dass Landärzte Mediziner zweiter Klasse sind."

Dem Vizepräsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, gehen Röslers Vorschläge, die auch eine Aufhebung des Numerus clausus für Medizinstudenten umfassen, nicht weit genug. Vor allem müsse die Infrastruktur für ärztliche Praxen auf dem Land verbessert werden, sagte Montgomery dem NDR Fernsehen. "Wenn man schnell etwas tun will, dann muss man mit den Mitteln der Kommunalpolitik darangehen, dass man Praxen schafft, in denen Leute auch arbeiten wollen." Dazu gehöre, dass man den Ärzten helfen müsse, in mehreren Orten praktizieren zu können.

Außerdem müsse es ausreichend medizinische Fachangestellte geben, die dem Arzt zur Seite stehen könnten. "Es nützt überhaupt nichts", sagte Montgomery, "einen Arzt jetzt aufs Land zu holen und ihn mit Mehrarbeit so zu überlasten, dass er nach drei Jahren wieder weggeht."