Maike Röttger über Terrorlager am Hindukusch: Wie es dort wirklich zugeht und wie deutsche Islamisten behandelt werden.

Hamburg. Im Terrorprozess gegen die Sauerland-Gruppe fällt morgen das Urteil. Mit ihren zum Teil unveröffentlichten Aussagen haben die Angeklagten wichtige Erkenntnisse über Terrorlager am Hindukusch geliefert. Wie es dort wirklich zugeht und wie deutsche Islamisten behandelt werden - ein Report von Maike Röttger.

Adem Yilmaz ist von eher schlichtem Gemüt. Sein Vokabular reduziert er auf das Nötigste. Und das klingt dann zum Beispiel so: "Pakistan ist voll asozial." Der Schwarzwald dagegen sei "voll schön". Es war einer seiner Kernsätze in den vergangenen elf Monaten, die der Terrorprozess gegen Yilmaz und seine Komplizen Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Atilla Selek - die sogenannte Sauerlandgruppe - andauert.

In den wenigen Worten drückt Yilmaz die ganze Enttäuschung aus, die die vier jungen Männer im Terrorausbildungslager in der afghanisch-pakistanischen Region Waziristan erlebt haben. Von wegen "Heiligen Krieg" führen gegen die Ungläubigen: Wochenlang sei ihm vom Essen im Lager der usbekischen Islamischen Dschihad-Union (IJU) schlecht gewesen, die Fußmärsche durch die Berge konnte er kaum durchhalten, die Sprache nicht verstehen, und den "Feind" bekam er nicht einmal wirklich zu sehen. "Er hatte gedacht, er bekommt dort eine Waffe und spielt dann Rambo", sagt seine Rechtsanwältin Ricarda Lang.

Morgen wollen die Düsseldorfer Richter ihr Urteil verkünden (siehe Text unten auf dieser Seite). Ungeachtet dessen, wie viele Jahre die Angeklagten ins Gefängnis müssen, haben deren Aussagen sehr viel Aufschlussreiches über die Welt der al-Qaida ergeben. Beschwerlich ist es dort, aber keineswegs ruhmreich. "Die Geständnisse der sogenannten Sauerland-Terroristen sind eine hervorragende Gelegenheit, einen tieferen Einblick in die islamistische Szene und die Reiserouten in die Terrorlager zu bekommen", heißt es aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz. "Es wurde darin vieles bestätigt, was die Sicherheitsbehörden bereits angenommen hatten. Insofern helfen die Aussagen, ein genaues Gesamtbild zu erhalten."

Eine der zentralen Erkenntnisse ist, dass kein großartiges, von irgendwoher gesteuertes System hinter dem Aufstieg eines unauffälligen Moslems aus Deutschland zu einem islamistischen Terroristen steht. "Ein großer ,Masterplan' war hier nicht zu erkennen", so die Verfassungsschützer. "Für die Angeklagten hat sich alles eben so entwickelt und ergeben", sagt auch Anwältin Lang. "Yilmaz wusste ja nicht einmal, wo Waziristan liegt."

Der Anführer der Sauerlandgruppe, Fritz Gelowicz, hat im Prozess offenbart, dass den Möchte-gern-Terroristen eigentlich alle Umstände egal waren. Bloß irgendwie kämpfen: "Wir wollten Dschihad machen. Hauptsache Dschihad gegen die Amerikaner!" In den Heiligen Krieg (Dschihad) zu ziehen, das heißt, den Islam gegen die angeblich "Ungläubigen" zu verteidigen. Die sind aus islamistischer Sicht derzeit in Afghanistan versammelt. Zu Zeiten des Irakkrieges waren die Terrorkämpfer aus aller Welt noch ins Zweistromland gepilgert, jetzt zieht es sie eben an den Hindukusch. Ein Besuch in den Terrorlagern gilt den Islamisten als Voraussetzung für den Weg zum Dschihad, aber sie erhoffen sich dort auch ein Leben nach der reinen Lehre des Islam.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden haben sich seit Beginn der 90er-Jahre mindestens 200 Islamisten aus Deutschland auf den Weg gemacht, um sich paramilitärisch ausbilden zu lassen. Es sind Konvertiten, Deutsche mit Migrationshintergrund oder Islamisten, die lange in Deutschland wohnen. Bei 65 von ihnen gibt es konkrete Hinweise, dass sie auch tatsächlich eine Terrorausbildung erhalten haben.

Ein Drittel von ihnen ist inzwischen wieder in Deutschland und davon die Hälfte inhaftiert. Viele kehren allerdings auch zurück, ohne jemals überhaupt in einem der Ausbildungslager angekommen zu sein. Wer es dennoch durchgehalten hat, erhält zu Hause die zweifelhafte Ehre, auf der Leiter der Anerkennung hochzurücken - oder er bleibt gleich ganz dort, wo er die Ausbildung bekam. Das weiß man von Eric Breininger, der schon seit zwei Jahren in Waziristan vermutet wird, und von den Brüdern Mounir und Yassin Chouka aus Bonn. Immer mal wieder tauchen Videos von ihnen auf, in denen sie Muslime aus Deutschland dorthin locken wollen.

"Das Leben in den Terrorlagern wird glorifiziert", sagt der Hamburger Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck. "Wer sich auf den Weg in die Lager macht, der will Gottesfürchtiges tun. Er erlebt es als Prüfung für seinen Glauben. Deshalb wird er auch negativen Erlebnissen etwas Positives abgewinnen." Keine Rede von der Angst vor den Bombenangriffen der US-Truppen und ihren Verbündeten. Nichts über die Krankheiten, die Kälte oder Hitze, den Drill und die Langeweile. Bisher stieß der Hamburger Verfassungsschutz nur auf einen Beitrag im Internetforum, der die tatsächlichen Verhältnisse beim Namen nennt. "Da hat mal jemand die Wahrheit gesagt", meint Vahldieck.

"Assalamu alaykum", schreibt ein "Gotteskämpfer" (Mudschahed) in etwas unbeholfenem Deutsch an "seine Brüder und Schwestern": "Wie geht es dir, inshallah geht es dir gut, wenn du uns fragst, Allah sei Dank aber in Wirklichkeit geht es uns überhaupt nicht gut." Er beschwert sich über die Kuffar, die Ungläubigen, die die Lager angreifen, und fühlt sich von der Ummah, der Gemeinschaft der Muslime im Stich gelassen.

"Hier greifen die Kuffar uns an mit ihrer ganzen Kraft, 5000 Raketen fallen täglich, Tag und Nacht. Ich werde in der Gegenwart ALLAHs mich über die Ummah beschweren. Sie haben uns im Stich gelassen, sie haben uns der Kuffar-Armee überlassen!", schreibt der Islamist. "Wie wollen sie vor ALLAH Rechenschaft ablegen? Bei ALLAH, unsere Kinder, Schwestern sammeln wir unter den Bomben auf und die Ummah schweigt! Meine Nerven sind am Ende. Nun bin ich am Ende meiner Kräfte, ich verstehe die Ummah nicht, ich bin durcheinander was ich überhaupt machen soll. Von den beiden deutschen Brüdern die mit mir zusammen hier sind, sind die deutschen Schwestern sehr schwer verletzt! Ein kleiner Mujahid ein Kind ist verletzt und sehr viele Mujahidin sind sehr schwer verletzt, überall ist Blut und die Bomben explodieren. Ich bin durcheinander und nun weiß ich nicht mehr."

Es sind nicht mehr nur Männer in den Lagern, wie der Islamist beschreibt. Das ist so etwas wie ein neuer Trend. Was einst vielleicht nur für kampfeswütige Männer mit James-Bond-Fantasien gedacht war, soll inzwischen auch ganze Familien ansprechen. Anfang 2009 tauchten zwei Propagandavideos auf, in denen die Urheber dazu auffordern, auch Kinder und Frauen in die Terrorlager mitzubringen. Angeblich gibt es dort auch Krankenhäuser und Schulen.

Eine eigentlich absurde Vorstellung für jemanden, der sich einigermaßen mit den Gegebenheiten in der rauen Bergwelt des pakistanisch-afghanischen Grenzgebietes vertraut gemacht hat. Aus Hamburg ist jedoch mindestens ein Fall bekannt, bei dem sich die Frau eines Islamisten plötzlich in Pakistan wiederfand - wissentlich oder nicht. Geht es nach den Lockvideos, herrscht dort Lagerfeuerromantik. Männer, Frauen und Kinder sitzen harmonisch in kerzenbeleuchteten Hinterhöfen, ein anrührender Gesang liegt über der Szene. Selbst die Kämpfer freuen sich demnach auf ihren Tod und können ihn kaum erwarten.

In einem anderen Video mit dem heroischen deutschen Titel "Er kam, sah, und siegte" lächelt ein fröhlicher schwer bewaffneter Kämpfer beim Schießtraining in die Kamera. Es ist der Deutsche Javad Sediqi, genannt "Abu Safiyya", der im Frühjahr vergangenen Jahres aus Bonn nach Pakistan aufbrach. "Drum kommt in unsere Reihen und erntet Vergebung und Zufriedenheit", singt jemand lieblich im Hintergrund - und auch dies: "Wir verkünden frohe Botschaft." Dann sagt eine Stimme im Hintergrund: Am 17. Oktober 2009 sei er ums Leben gekommen. "Er starb den Tod der Ehre auf dem Schlachtfeld." Schnitt, ein lächelnder Abu Safiyya.

Das Ausblenden der Wirklichkeit ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass der Prozess um die Sauerland-Gruppe, der immerhin als der größte deutsche Terrorprozess seit den Verfahren gegen die Rote-Armee-Fraktion angesehen wird, in der islamistischen Szene in Deutschland überhaupt keine Rolle spielt. Denn vor allem Yilmaz und Gelowicz haben ziemlich unverblümt über die Terrorlager gesprochen, wie schwer es war, überhaupt dort hinzukommen, durchzuhalten und auch ernst genommen zu werden. "Für uns verweichlichte Europäer ist das da nichts", sagt Yilmaz' Anwältin Ricarda Lang, und sie ist sicher: Die Terrorausbilder wollen die Europäer auch gar nicht. "Es geht nur darum, dass sie ihr Geld dort abliefern", sagt sie. Die Angeklagten hatten 4000 bis 5000 Euro dabei, die sie erst einmal abgeben mussten.

Yilmaz selbst, der später aus Deutschland einige Komplizen in die Lager vermittelt hat, sagt: "Viele Europäer halten es da wirklich nicht aus und brechen die Ausbildung ab." Er selbst durfte zwar an dem Beschuss eines US-Lagers teilnehmen, aber nur die Flanke sichern. Kämpfen sollten die vier Deutschen nach dem Willen der usbekischen Dschihad-Union nicht dort, sondern in ihrer Heimat.

"Die Angeklagten werden an der Dschihad-Front nicht ernst genommen und von uns bitte auch nicht", sagt Anwältin Lang zum Ende des Prozesses. Ihr wäre es lieber gewesen, die vier wären noch mehr demaskiert worden. "Da steckt nichts dahinter", sagt sie und warnt vor einer neuen Terrorhysterie. "Für diese Angeklagten müssen keine Gesetze verschärft werden."