Der FDP-Chef will von seinen umstrittenen Äußerungen nichts zurücknehmen. Die Union verlangt von der Koalition, zur Sacharbeit zu kommen.

Berlin. Das hat man im Bundestag auch noch nicht erlebt: Dass ein Bundesaußenminister ans Rednerpult tritt, um als Abgeordneter eine Rede zu einem innenpolitischen Thema zu halten. Guido Westerwelle hat mit diesem Schritt gestern vor allem die Opposition überrascht, die ihn mit Zwischenrufen bombardierte, als er seine Hartz-IV-Verteidigungsrede hielt ("Was machen Sie denn da?", "Als was reden Sie eigentlich?").

Doch Westerwelle gab sich unbeirrt. Leistung müsse sich wieder lohnen, erklärte der FDP-Politiker, und wer arbeite, müsse mehr als derjenige haben, der nicht arbeite: "Das werde ich heute sagen und auch morgen noch!" Diese Ankündigung brachte Grüne und Linke, die einen letztlich abgelehnten Antrag auf Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze eingebracht hatten, erst Recht in Rage. "Spalter!", wurde von den hinteren Bänken gerufen, und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief empört: "Sie sind doch Vizekanzler! Tun Sie doch mal was für die Jobs!"

Westerwelle konterte, er habe nur darauf aufmerksam gemacht, dass man alles, was man verteilen wolle, erst einmal erwirtschaften müsse. "Und dabei bleibe ich auch." Er fügte hinzu, wenn man nach dem Karlsruher Hartz-IV-Urteil nur noch über "Verteilungsgerechtigkeit" spreche und nicht mehr über "Leistungsgerechtigkeit", dann mache man einen Fehler - und genau diesen Fehler habe die Opposition begangen: "Die Tinte unter der Urteilsverkündung war noch nicht getrocknet, da haben Sie aus den Oppositionsfraktionen erklärt, jetzt habe sich das Thema der Entlastung der Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen erledigt."

Die Unionsfraktion verfolgte Westerwelles Auftritt mit Gelassenheit. Warum? Beim Koalitionspartner hatte man schon Tage vorher gewusst, dass der FDP-Vorsitzende die Bundestagssitzung nutzen würde, seinen Standpunkt in der Sozialstaatsdebatte ein weiteres Mal klarzumachen.

Elegant demonstrierte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Schulterschluss mit Westerwelle, der in den zurückliegenden Tagen auch aus den Reihen der CDU/CSU kritisiert worden war. Es müsse der richtige Ausgleich gefunden werde zwischen denen, die arbeiteten, und denen, die auf Hilfe angewiesen seien, sagte von der Leyen. Die Ministerin appellierte allerdings auch an die Regierungspartner, die großen Schritte, die nun getan werden müssten, "nicht mit Streitigkeiten" zu verstolpern.

Das passte zu der Willensbekundung, die die drei Parteivorsitzenden der Regierungsfraktionen nach ihrem Sechs-Augen-Gespräch im Kanzleramt abgegeben hatten. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer hatten erklärt, dass ihre Koalition nun von "abstrakten Debatten" zu "konkreter Arbeit" übergehen werde. "Insgesamt recht entspannt" sei das Treffen gewesen, hieß es gestern, und in "wirklich sehr guter Atmosphäre" habe es stattgefunden.

Allerdings wollten Kanzlerin und Vizekanzler nicht völlig darauf verzichten, sich parallel zu diesem Harmonie-Bekenntnis vom Koalitionspartner abzugrenzen. Westerwelle, indem er sich in einem Gastbeitrag für die "Welt" erneut als Kämpfer für die Interessen der Mittelschicht inszenierte - "Es gibt keine Staatsgelder, es gibt nur Geld von jenen, die Steuern und Abgaben zahlen" -, Merkel, indem sie im Interview mit der FAZ erklärte, Selbstverständlichkeiten dürften nicht länger als Tabus verkauft werden. Das war ein Seitenhieb auf Westerwelle, der den Eindruck erweckt hatte, er stehe mit seiner Haltung in der Hartz-IV-Debatte alleine da.

Horst Seehofer, der Dritte im Bunde, war dennoch sichtlich zufrieden mit dem Verlauf des Spitzengesprächs in der Koalition. "Sogar humorvoll" sei das Treffen im Kanzleramt gewesen, sagte er, und als Quintessenz nehme man mit, "dass bei verschiedenen Themen aufs Tempo gedrückt" werden müsse. Nicht nur bei Hartz IV, sondern auch in der Energiepolitik und vor allem in der Gesundheitspolitik. Seehofer blieb bei seiner Ablehnung der von der FDP geforderten Kopfpauschale, sagte allerdings, er wolle der gerade eingesetzten Reformkommission nicht vorgreifen.