FDP-Chef Westerwelle hat mit seiner Hartz-IV-Kritik Empörung ausgelöst. Abschrecken lässt er sich davon nicht: Er wettert weiter.

Berlin. Seitdem das Bundesverfassungsgericht Teile der Hartz-IV-Reform für verfassungswidrig erklärt hat, tobt in Deutschland eine Diskussion über die Zukunft der sozialen Sicherung. Eine Diskussion, die nach Ansicht von FDP-Chef Guido Westerwelle „sozialistische Züge“ habe. Das hatte er so bereits gestern in einem Gastbeitrag für die „Welt“ niedergeschrieben. Doch offenbar angestachelt durch die Kritik, die er daraufhin erntete, legte er jetzt nach. „Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.

Ein Urteil und seine Folgen: Was man wissen muss

Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen dürften nicht länger „die Melkkühe der Gesellschaft“ sein. „Wer arbeitet, darf nicht mehr und mehr zum Deppen der Nation gemacht werden“, sagte Westerwelle. Die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager zeigten doch, dass er den Finger in die Wunde gelegt habe. „Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung. Dagegen wehre ich mich“, erklärte der Bundesaußenminister.

Heftige Kritik an den Äußerungen des FDP-Chefs kam von der Opposition und den Gewerkschaften. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) forder Westerwelle auf, sich bei Hartz-IV-Empfängern zu entschuldigen. Dessen Äußerungen seien „empörend“, sagte Beck in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. „Wer so etwas sagt, hat die Lebensrealität der Menschen völlig aus dem Auge verloren. Ich finde, da ist eine Entschuldigung fällig“, sagte der SPD-Politiker.

Auch die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einer „Beleidigung für Millionen Langzeitarbeitslose“. Sozialleistungen seien „keine Gnadengabe, sondern Verpflichtung eines demokratischen Rechtsstaats, der die Menschenwürde garantiert“, kritisierte Ver.di-Chef Frank Bsirske Westerwelles Äußerungen. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“: „Es ist für einen Vizekanzler unangemessen, Millionen von Hartz-IV-Beziehern so zu diffamieren.“ Vielmehr wäre es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die soziale Balance erhalten bleibe.

Doch wie geht es nach dem Hartz-IV-Urteil weiter? Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, hat die Forderungen von Linkspartei und Gewerkschaften nach einer milliardenschweren Erhöhung der Hartz-IV-Sätze zurückgewiesen. „Ich kann die Lügenmärchen nicht mehr hören“, sagte Vogel der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Kaffeesatzleserei über die Höhe und die Kosten der Regelleistungen seien „unangebracht“, sagte Vogel.

Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer forderte unterschiedliche Hartz-IV-Sätze für Geschwisterkinder. „Wir sollten nun auch überlegen, ob für das zweite und dritte Kind der gleiche Bedarf besteht wie für das erste Kind“, sagte sie der „PNP“. Es gebe Kosten, die nicht für jedes weitere Kind in vollem Umfang neu entstünden. So könne auch die Kleidung der größeren Kinder weitergegeben werden.

Die CSU-Politikerin sprach sich zudem dafür aus, statt Geldleistungen alle Bildungsangebote für Kinder umsonst anzubieten. „Was wir an Bildungs- und Teilhabechancen für Kinder bereitstellen, müssen wir genauso wie Straßen kostenlos zur Verfügung stellen“, sagte sie. „Vereine, Museen, Schwimmbad, Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe kostenlos. Und zwar für alle Kinder. Denn nicht nur Hartz-IV-Familien, sondern auch viele berufstätige Eltern müssen doch oft nein sagen, wenn es etwa um Wünsche ihrer Kinder, Vereinsbeiträge oder Musikunterricht geht.“