Nach Meinung der Opposition verstrickt sich der Verteidigungsminister in Widersprüche, sie fordert deshalb eine Regierungserklärung.

Berlin. Nach neuen Vorwürfen geraten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und Kanzlerin Angela Merkel mehr und mehr in den Sog der Kundus-Affäre. Die Bundeswehr soll bei dem Luftangriff am 4. September vor allem die Tötung von Taliban-Führern ins Visier genommen haben – und nicht nur die Zerstörung zweier entführter Tankwagen. Das Bombardement mit vielen zivilen Opfern soll Folge einer verschärften Einsatzstrategie sein, in die das Kanzleramt involviert gewesen sein könnte.

Die Opposition sieht eine Überschreitung des Bundestagsmandats und verlangt eine Regierungserklärung Merkels. Ihr Sprecher Ulrich Wilhelm betonte, das Kanzleramt habe immer Wert darauf gelegt, dass die Einsätze im Rahmen des Mandats abliefen. Guttenberg forderte klarere Regeln für den Waffeneinsatz. An diesem Mittwoch nimmt der Untersuchungsausschuss zu dem Luftangriff seine Arbeit auf. Er sprach in der „Bild am Sonntag“ erneut von „kriegsähnlichen Zuständen“ in Afghanistan. „In solchen Situationen ist der Einsatz der Waffe auch gegenüber Menschen nicht auszuschließen (...) Wir brauchen künftig eine realistische Einschätzung der Situation und müssen die Einsätze daran ausrichten.“

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Guttenberg in der ARD vor, zu dem Luftangriff „wissentlich die Unwahrheit“ gesagt zu haben. SPD-Chef Sigmar Gabriel legte dem Minister den Rücktritt nahe: Wenn er informiert gewesen sei, aber nicht die Öffentlichkeit informiert habe, „gilt für ihn die gleiche Messlatte“ wie für den zurückgetretenen Minister Franz Josef Jung (CDU). CSU- Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sprach von „Scheinheiligkeit“, weil dem Bundestag seit dem 3. November „alle Informationen“ vorlägen. Im ISAF-Untersuchungsbericht für die NATO heißt es laut „Süddeutscher Zeitung“: „Er (Kommandeur Klein) hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge.“ Klein selbst schrieb am Tag nach dem Angriff laut „Spiegel“, er habe die „Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents-Aufständische) ... vernichten“ wollen. Die Regierung hatte immer erklärt, die Tankwagen seien angegriffen worden, weil sie als rollende Bomben hätten eingesetzt werden können. Auf Basis des NATO-Berichts hatte Guttenberg den Angriff zunächst als „militärisch angemessen“ eingestuft. Nachdem ihm weitere Berichte vorgelegt wurden, korrigierte er sich.

Der NATO-Bericht enthält nach Angaben des entlassenen Bundeswehr- Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan jedoch alle wesentlichen Informationen zum Angriff von Kundus. Er habe Guttenberg bei Amtsantritt am 28. Oktober vorgelegen, sagte Schneiderhan am Sonntag dem ARD-„Bericht aus Berlin“. Zudem hätten er und der ebenfalls vom Dienst entbundene Staatssekretär Peter Wichert Guttenberg am 25. November auf Nachfrage vier weitere Berichte zu dem Bombardement genannt. Guttenberg hatte am 26. November die Entlassungen der beiden im Bundestag mit Bezug auf einen Bericht der Feldjäger begründet: „Dieser, wie andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode, wurden nicht vorgelegt.“ „Der Spiegel“ hatte in einer früheren Ausgabe unter Berufung auf Guttenbergs Umfeld berichtet, die beiden Entlassenen hätten dem Minister bei dem Gespräch die Existenz von Berichten verschwiegen. Schneiderhan sagte nun, über die Inhalte hätten sie den Minister nicht informiert.

Schneiderhan bestätigte ferner, dass Guttenberg bei der Feststellung der militärischen Angemessenheit am 6. November neben der NATO-Untersuchung auch die des Internationalen Roten Kreuzes vorliegen gehabt habe, aber keine weiteren Berichte. Das Verteidigungsministerium unter Jung soll dem Kanzleramt vier Tage lang Berichte über das Bombardement vorenthalten haben, wie die ARD weiter berichtete. Bei dem vom damaligen deutschen Kundus-Kommandeur Georg Klein angeforderten US-Luftangriff waren laut NATO-Untersuchungsbericht bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter 30 bis 40 Zivilisten.

Das Kanzleramt sowie für die Geheimdienste zuständige Regierungsvertreter sollen vor und nach dem Angriff in eine neue Eskalationsstufe in Afghanistan einbezogen gewesen sein, wie die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet. Dabei sei es auch um gezielte Tötungen gegangen. Klein habe sich deshalb nach Angaben aus der Bundeswehr „ermutigt gefühlt“, „kräftig durchzugreifen“. Der SPD- Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sagte der „Bild“-Zeitung: „Mit dem Geist der Bundestagsmandate für Afghanistan wären gezielte Tötungen absolut nicht vereinbar.“ Ähnlich äußerte sich der Obmann der Linken, Peter Schäfer, in einem dpa-Gespräch.