Die Ankündigung der Bundeskanzlerin, gestohlene Schweizer Bankkundendaten kaufen zu wollen, lässt die Schweizer toben und die deutschen Bankkunden zittern. Volker ter Haseborg über ein Bankgeheimnis, das vielleicht bald keins mehr ist.

Die Telefone stehen nicht mehr still. Seit bekannt ist, dass die Bundesregierung die Schweizer Bankdaten von 1500 angeblichen Steuersündern kaufen will, gehen bei den Schweizer Banken besorgte Anrufe ein. Anrufe von aufgescheuchten deutschen Kunden. Es sind Kunden, die sich bei ihren Bankberatern erkundigen, ob auch ihre Daten verkauft worden sind. Und offenbar sind auch einige dabei, die richtig Angst haben, berichten Schweizer Vermögensverwalter. Angst davor, wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis zu kommen.

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble dürften angesichts dieser Panik Schadenfreude spüren: Es ist genau das, was sie bezwecken wollen. Hunderte Millionen Euro versprechen sie sich von der Jagd auf die deutschen Steuerflüchtlinge, die sich am besten vor ihrer Ergreifung freiwillig melden. Zügig soll jetzt der Deal mit dem Informanten abgeschlossen werden, der 2,5 Millionen Euro für die illegal erworbenen Daten verlangt.

Kaum war die Kaufabsicht für die heiße Scheibe aus der Schweiz geäußert, war das Verhältnis zwischen den beiden Staaten gestört. Die Reaktionen auf den Entschluss der Deutschen sind eindeutig: "Das ist eine Kriegserklärung", schimpfte Toni Brunner, Chef der Schweizerischen Volkspartei. "Was wir jetzt sehen, ist eine moderne Form von Banküberfall", wetterte Pirmin Bischof von den Christdemokraten. "Deutschland macht sich damit zum Hehler und belastet das gute Verhältnis zwischen unseren Ländern", sagte Thomas Sutter von der Schweizer Bankiervereinigung dem Abendblatt.

Der Streit um die Steuersünder-CD hat wieder einmal den Nerv der nationalbewussten Schweizer getroffen: ihr Bankgeheimnis. In der Schweiz werden nicht alle Steuerdelikte gleich bestraft. Es wird unterschieden in "Steuerbetrug" und "Steuerhinterziehung": Wer Urkunden fälscht, um Steuern zu sparen, begeht Steuerbetrug und riskiert eine Gefängnisstrafe. Wer nicht alle Einkünfte offenlegt, begeht Steuerhinterziehung. Das Ganze ist jedoch - im Unterschied zu Deutschland - nur eine "verwaltungsrechtliche Übertretung" und wird milde bestraft. Das Problem von Staaten, die Steuersünder in der Schweiz wähnen: Die Eidgenossen leisten nur Amtshilfe bei Steuerbetrug, nicht aber bei Steuerhinterziehung. Bankgeheimnis ist Bankgeheimnis. Auf diese Weise füllten sich die Tresore der Schweizer Bankhäuser in den vergangenen Jahrzehnten mit Geld - ein nicht unerheblicher Teil davon ist Schwarzgeld, aus Deutschland sollen es fast 200 Milliarden Euro sein.

Dass Deutschland die verschwiegenen Schweizer durch gekaufte Daten übergeht, liegt auch daran, dass der Fiskus mit dieser Praxis in Liechtenstein gute Erfahrungen gemacht hat. Vor zwei Jahren kaufte der Bundesnachrichtendienst für fünf Millionen Euro gestohlene Daten von der fürstlichen Vaduzer Bank LGT. 770 deutsche Steuersünder gerieten unter Verdacht. Viele von ihnen gingen nach Bekanntwerden des Skandals zur Justiz und erstatteten Selbstanzeige. Die Liechtensteiner Daten führten die Ermittler zum ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel, der später vor Gericht kam und zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Million Euro Strafe verurteilt wurde. Seit 2008 hat der deutsche Fiskus 200 Millionen Euro Steuernachzahlungen eingenommen.

Während das Fürstentum nach dem Skandal mit anderen Staaten gegen Steuersünder vorging, blockierte die Schweiz weiter. Bankgeheimnis sollte Bankgeheimnis bleiben. Das führte schnell zum Krach - mit Deutschland. Im vergangenen Jahr drohte der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, dass die Schweiz auf die schwarze Steueroasen-Liste der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt, wenn sie sich nicht dem Kampf gegen Steuerhinterzieher verpflichtet. Der SPD-Politiker donnerte, er wolle die "Kavallerie" in die Schweiz schicken. Der Schweizer Verteidigungsminister verzichtete danach aus Protest auf seinen Dienst-Mercedes und fährt seitdem Renault. Dann lenkten die Schweizer doch noch ein: Die Eidgenossen zeigten sich bereit, die Standards der OECD anzuerkennen. Im vergangenen Herbst begannen Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland. Das Geld von deutschen Anlegern in der Schweiz soll in beiden Staaten besteuert werden. Und noch viel wichtiger: Die Schweiz soll sich verpflichten, Amtshilfe bei Steuerhinterziehung zu leisten und mit den Deutschen Informationen auszutauschen.

Doch während die Deutschen und Schweizer verhandelten, outete sich der nächste Datendieb: Hervé Falciani gab zu, dass er Daten von 130 000 Bankkunden aus der Genfer Privatbank HSBC entwendet und den französischen Behörden übergeben hatte. Auch diese Affäre hatte Spannungen zwischen beiden Staaten zur Folge. 3500 Steuerflüchtlinge nahmen nach Bekanntwerden der Liste das Angebot zur Selbstanzeige an, Frankreichs Fiskus nahm 700 Millionen Euro ein.

Auch mit den USA verstehen sich die Schweizer derzeit nicht gut: 4200 reiche Amerikaner sollen mithilfe der Schweizer Großbank UBS Steuern hinterzogen haben. Die US-Behörden verlangen die Herausgabe der Daten - und scheitern damit am Schweizer Recht. Bankgeheimnis ist Bankgeheimnis, urteilte jüngst das Schweizer Bundesverwaltungsgericht. Die US-Steuerbehörde IRS erwägt jetzt, die Schweizer Bank vor einem US-Gericht zur Herausgabe der Daten zu verklagen.

Auch wenn einzelne Schweizer Politiker jetzt damit drohen, die Verhandlungen mit Deutschland über das Partnerabkommen abzubrechen - letzten Endes rechnen alle Experten damit, dass die Schweiz klein beigibt und die Kriterien erfüllt. Weil der internationale Druck mittlerweile zu groß ist. Weil das Ansehen der Schweizer Finanzbranche durch den Datenklau Schaden genommen hat. Und weil die Schweiz nicht riskieren will, Anleger aus aller Welt zu verlieren. Auch wenn das Schweizer Bankgeheimnis bald nicht mehr das alte Schweizer Bankgeheimnis ist.