Im Januar 1980 betrat ein neuer Spieler die politische Bühne: Die Grünen. Die meisten prophezeiten ihnen eine kurze Zukunft. Ein Rückblick.

Wie sehen die denn aus? Das war noch eine der neutralsten Reaktionen auf die Grünen der ersten Stunde. Isländerpullover und wallende Bärte, Flatterröcke und Männer mit Strickzeug hatte man bis dahin in den Parlamenten oder auf Parteitagen nicht gesehen. Und plötzlich gab es "PolitikerInnen". Für die Medien waren die Grünen daher eine Bereicherung: Endlich lieferte Politik mal neuartige Bilder.

Als sich am 13. Januar 1980 in Karlsruhe Die Grünen gründeten - "sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei" -, waren die etablierten Parteien allzu siegessicher, dass sich der bunte Haufen aus Linkssozialisten, Maoisten, Naturschützern, Frauen-, Anti-AKW-, Friedens-, Sponti- und Umweltgruppen schnell wieder auflösen würde. Zwar hatten die 68er die steife Nachkriegs-BRD schon gehörig aufgelockert. Aber durchlässiger war das demokratische System nicht geworden.

In den Siebzigern hatten die Parteien zwar enorme Mitgliedergewinne zu verzeichnen. Aber dieser Trend war gestoppt. Stattdessen schossen Bürgerinitiativen bundesweit wie Pilze aus dem Boden. Junge, gut ausgebildete Menschen erwarteten auf den verschiedensten Politikfeldern einen Umschwung.

Aber CDU, SPD und FDP gelang es nicht, die jungen Unangepassten an deren Bushaltestellen abzuholen und zu integrieren.

Stellvertretend für viele fand der damalige CDU-Vorsitzende Alfred Dregger, die Grünen seien "der Höhepunkt des Ausstiegs aus der Wirklichkeit". Sie seien noch "nicht ins demokratische System eingestiegen".

Das wollten etliche Grüne und Grünalternative auch gar nicht. "Wir verstehen uns als eine Anti-Parteien-Partei", sagte die Grünen-Frontfrau Petra Kelly. Zum Verdruss der Regierung Kohl zogen die Grünen 1983 trotzdem mit 5,6 Prozent in den Bundestag ein und stockten 1987 auf 8,3 Prozent auf.

Entsetzlich: Man saß im Parlament neben "Hausbesetzern, Terrorsympathisanten und Steinewerfern". Man musste sich auf einmal gegenüber den frech fragenden Wollfusseln rechtfertigen, warum der Nato-Doppelbeschluss Deutschland nütze, wozu man für Flughäfen und Atomkraftwerke und Autobahnen noch mehr Wald fällen sollte. Man musste sich mit Emissions- und Abwasserwerten auseinandersetzen.

In Hamburg wollten die Grünen von Anfang an besonders basisdemokratisch und keinesfalls so zentralistisch wie eine Normalpartei organisiert sein. Für den Rechtsanwalt Bernd Vetter, heute 61, fand der Urknall 1980 "in einer Schule irgendwo in Hamburg-Nord" statt, wo sich "ein paar Interessierte aus verschiedenen Initiativen" trafen. Vetter war Mitglied der Mieterinitiative Eppendorf und gehörte zur Hausbesetzergemeinschaft Haynstraße/Hegestraße. "Weil unsere Mieterbewegung im Stadtteil eine gewisse Rolle spielte, war es auch klar, dass einer von uns in den neuen Grünen-Bezirksvorstand Nord geht - das war ich."

Ein paar Monate später wurde der Grünen-Landesverband Hamburg gegründet, von Anfang an der Linksaußen unter den Grünen-Landesverbänden. Das lag am starken Einfluss der Alternativen Liste, eines urbanen Sammelbeckens für diverse linke Strömungen: linkssozialistisch, staats- und systemkritisch. Eine Vereinigung zur GAL (Grün-Alternative Liste) fand erst kurz vor der Bürgerschaftswahl 1982 statt. Schon die Aufstellung der "Kandidat/inn/enliste" sei ein "sehr langes Gezerre" gewesen, weil gleich viele Grüne und Alternative, Frauen und Männer vertreten sein sollten.

"Die Idee war, dass die Gesellschaft sich für ihre Interessen in Bürgerinitiativen organisiert und wir ihr parlamentarischer Arm sind", sagt Vetter. Sie hätten damals geglaubt, dass das geht.

"Das kann sich heute keine mehr vorstellen, wie selbstverständlich staatsfeindlich wir waren", sagt Thomas Ebermann. Der 58-Jährige hat zwar mit den Grünen schon lange nichts mehr am Hut, ihre Entwicklung zu einer Regierungspartei lässt ihn heute sichtlich schaudern. Aber als Zeitzeuge ist der einstige Bürgerschreck nach wie vor ein gefragter Mann.

Ebermann hatte der sogenannten Z-Fraktion des Kommunistischen Bundes angehört. Er und die Moorburger Turnlehrerin Thea Bock kandidierten 1982 als Spitzenkandidaten der GAL. Die beiden markieren ungefähr das Spektrum, das in den Anfangsjahren der Grünen vorherrschte: Menschen aus Bürgerinitiativen, feministische Hausfrauen, Umweltaktivisten, Funktionäre aus K-Gruppen und die ersten Ökobauern mussten sich selbst erst mal zusammenraufen. Aber viele Wähler/-innen fanden das gut. Die Zeit war irgendwie reif für eine neue Alternative.

In Hamburg errang die GAL auf Anhieb 7,7 Prozent der Stimmen und neun Sitze in der Bürgerschaft. "Wir hatten nicht wirklich geglaubt, dass wir es schaffen", sagt Thea Bock. Während sie anfangs noch vor jeder Rede aufgeregt war, musste Ebermann zum Erstaunen der Altparteien seine Reden selten vom Blatt ablesen und formulierte ohne Spickzettel druckreif.

Ihm ging es nahezu ausschließlich darum, den politischen Gegner vorzuführen und dessen Politik zu enthüllen: "Sagen, was ist, und nicht nach parlamentarischen Mehrheiten schielen." Er erinnert daran, "dass wir damals etwas so Utopisches wie eine autofreie Stadt gefordert haben" oder "deutlich sagten, dass eine Wirtschaftsform, die Wachstum braucht, etwas Verrücktes ist".

Die GAL-Fraktion trat nicht nur gegen das Hafenerweiterungskonzept des SPD-Senats in Moorburg und Altenwerder an. Es gab viele Angriffspunkte: den ungesicherten "Giftberg" in Georgswerder oder die Umweltbelastung des Chemiewerks Boehringer. Die Elbe war nicht nur wegen der DDR-Industrie eine Kloake, auch die Norddeutsche Affinerie und andere Unternehmen benutzten den Fluss ungerührt als Vorfluter für ihre Abwässer.

Heute nennt man es "Gentrifizierung", damals hieß es "Kaputtsanieren". Immobilieninvestoren wie Günter Kaußen versuchten damals in großem Stil, Mieter aus Hamburger Altbauten zu klagen, um diese als sanierte Eigentumswohnungen verkaufen zu können. Dass Mietwohnraum in citynahen Stadtteilen erhalten blieb, ist auch der GAL-Arbeit zu verdanken.

Das Verhältnis zu den Kollegen aus anderen Parteien war anfangs schlecht, sagt Ulla Jelpke, heute 58, damals eine der ersten GALierinnen in der Bürgerschaft. "Wir waren die Schmuddelkinder. Man wurde irgendwie der Gewaltszene zugeordnet." Erst allmählich hätten die Parlamentskollegen gemerkt, "dass wir qualifizierte Abgeordnete waren und auch ganz konkrete Alternativentwürfe vorgelegt haben". "Jeder von uns hatte sein Arbeitsfeld, wir haben die meisten Anfragen gestellt, und jeder musste bei den Bürgerschaftssitzungen mehrmals reden. Wir haben ganz schön geschuftet", sagt Bernd Vetter.

"Auch aus Teilen der SPD schlug uns offener Hass entgegen", sagt Ebermann, der im August 1982 vorübergehend festgenommen wurde, weil er an der Besetzung einer leer stehenden Polizeiwache teilgenommen hatte. Zumal "das Neue immer aus dem Chaos geboren wird" und "jede neue Partei ein Magnet für skurrile Menschen ist".

Ebermann zeichnet im Rückblick ein Bild von den Grünen als Sammelbecken "für die absurdesten Weltverbesserer und größten Parteitagsredner für irgendwas" mit einem "Übermaß an Symbolismus". Da wurde "sich ständig angekettet, eine überdimensionale Weltkugel von hier nach da gerollt und dann zwischen 14 und 16 Uhr für den Frieden gefastet".

Was die anderen Parteien am meisten frappierte: Die Grünen bekannten sich bundesweit zur Trennung von (Partei-)Amt und Mandat, zur Abführung des Großteils von Diäten und zum Rotationsprinzip nach jeweils zwei Jahren. Dieses Modell, sagt Ulla Jelpke, sollte das Berufspolitikertum verhindern. Erst Mitte der 90er-Jahre gab die Partei das Rotationsprinzip auf.

Eine Koalition mit "bürgerlichen Parteien" war Anfang der 80er-Jahre für die Grünen bundesweit noch nicht vorstellbar. In Hamburg nicht einmal die Tolerierung einer SPD-Minderheitenregierung - die Verhandlungen scheiterten im Herbst 1982. Ebermann wettete damals öffentlich im TV, dass die SPD bei den Neuwahlen keine absolute Mehrheit holen würde, ansonsten würde er in der Elbe baden. Er lag falsch. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi holte im Dezember 51,3 Prozent der Stimmen - und der wortgewaltige GALier stürzte sich im Januar 1983 bei eisigen fünf Grad in Hose und Mantel vor Altenwerder in den schmutzigen Fluss.

1987 aber brauchte der Senat dieGALier dringend: 6000 sturmbereite Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet wurden zusammengezogen, um die besetzten Häuser der Hafenstraße zu räumen. Klaus von Dohnanyi wollte die bevorstehende Schlacht allerdings unbedingt vermeiden. Als einzige Kuriere und Unterhändler zwischen Senat und Hafensträßlern wurden GAL-Abgeordnete, unter anderem Thea Bock und Susanne Uhl, in die verrammelten Häuser gelassen. Sie konnten einen Kompromiss erreichen: Die Hausbesetzer bauten den Natodraht ab, der Senat verkaufte die Häuser an eine "Genossenschaft Alternativen am Elbufer".

Für Ebermann ging es, wie er sagt, immer darum, "Sand im Getriebe" der Politik zu sein. Anderswo wollten die Grünen mehr. Der erste Landesverband, der sich zu einer Koalition mit der SPD durchrang, waren 1985 die Grünen in Hessen. Die ganze Fernsehnation sah zu, wie Joschka Fischer in Turnschuhen seinen Amtseid ablegte.

Grüne in Parlamenten - und bald in mehr Landesregierungen - wurden deutsche Normalität. Aber immer mehr rückten die Grünen von frühen Grundsätzen ab. 1987 zog Thomas Ebermann noch für die Grünen in den Bundestag ein und setzte sich knapp gegen Otto Schily als einer von drei Fraktionssprechern durch. Ein Jahr später spendete er noch 71 308,39 Mark aus seinen Bezügen an die Partei ("Das Geld stand mir nicht zu; das haben aber längst nicht alle gemacht"). Und noch ein Jahr später, 1990, trat er zusammen mit 41 anderen aus der Partei aus - enttäuscht über seine zunehmende Einflusslosigkeit in der von den "Realos" geprägten Fraktion. "Ich habe dafür gekämpft, dass wir keine Partei werden, die Deutschland fit macht für den Weltmarkt", sagt er, "und irgendwann muss man konstatieren, dass man verloren hat."

Aus der ersten GAL-Bürgerschaftsfraktion gehört keiner mehr der Partei an. Ulla Jelpke ist heute Abgeordnete der Linken, Thea Bock trat in die SPD ein. Andere, wie Ebermann, blieben grollend linksaußen.

"Die Grünen sind immer mehr in Richtung Macht und Regierungsbeteiligung gegangen", sagt Ulla Jelpke. Bernd Vetter stimmt zu: "Joschka Fischer wurde Minister und sitzt heute in einem Gas-Konsortium - Thomas Ebermann ist Kabarettist."

Es gibt aber auch eine Gegenseite: Gerade jüngere GALier begrüßten es, dass die "alten Anti-Impi- und Antifa-Kämpen" sich zurückzogen. Ihnen genügte es nicht, Sand im Getriebe zu sein, sie wollten Politik und Gesellschaft aktiver mitgestalten.

Inzwischen sind die Grünen ähnlich überaltert wie andere Parteien und müssen sich um Nachwuchs kümmern. Tausende junge Leute schließen sich zwar heute in Öko-, Green-IT- , Frauen- oder Menschenrechts-Netzwerken per Internet zusammen. Dass diese Traumwähler allerdings den Grünen einfach in den Schoß fallen, ist fraglich. Wahrscheinlich gründen sie irgendwann eine neue Partei.