In Hamburg und anderswo: Zehntausende demonstrieren gegen Studiengebühren und straffe Stundenpläne.

Hamburg/Berlin. Schüler und Studenten gehen auf die Barrikaden. Zu Zehntausenden zogen sie am Dienstag erneut durch die Straßen und demonstrierten für bessere Lernbedingungen in Schulen und Universitäten. Aus Protest gegen das „desolate Bildungssystem“ besetzten sie mancherorts die Hörsäle. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“, skandierten sie mit Trommeln und Trillerpfeifen in Hamburg, Köln, Berlin, Freiburg und in vielen anderen deutschen Hochschulstädten.

Besonderer Dorn im Auge der Studenten: Die Stofffülle in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen und die Unfähigkeit so mancher Hochschule, die Studieninhalte der deutlich reduzierten Semesterzahl anzupassen. Hinzu kommen die in mehreren unionsgeführten Bundesländern erhobenen Studiengebühren. Pflichtanwesenheit in Seminaren und Praktika sowie die dichte Prüfungsfolge ließen einfach keine Zeit, um sich nebenher das Geld für die Gebühren und den Lebensunterhalt zu verdienen. „Wer aber will sich bei diesen unsicheren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verschulden“, argumentiert der Studentenvertreter Michael Dunker aus Münster.

In der Tat ist die Studienneigung unter den deutschen Abiturienten derzeit so niedrig wie noch nie. Infolge der geburtenstarken Jahrgänge verließen 2008 fast 20 Prozent mehr junge Menschen ihre Schule mit einer Studienberechtigung als noch 2003. Im gleichen Zeitraum stieg jedoch die Zahl der Studienanfänger an den Hochschulen nur um 2,4 Prozent an.

„Ich kenne viele Leute, die die 700 Euro pro Semester nicht zahlen können und deshalb auf eine andere Ausbildung ausweichen“, sagt der Kölner Fabian Stendtke. Eine Jura-Studentin pflichtet ihm bei: „Die Gebühren bedeuten eine Ungleichbehandlung und das Ende der Bildungsfreiheit. Wer nicht zahlen kann, verzichtet.“

„Wir alle fragen uns, ob wir mit dem Bachelor überhaupt eine Chance auf den Arbeitsmarkt haben werden“, sagt ein Kölner Student. „Wir haben in der Erziehungswissenschaft jetzt nur noch fünf Semester Zeit. Das ist unverantwortlich. Ich möchte später beruflich mit behinderten Kindern arbeiten und ich glaube nicht, dass ich dafür nach so kurzer Studienzeit gut ausgerüstet bin.“

„Die Bildung geht baden“, glaubt sein Studienkollege: „Es gibt viele, die mit dem Bachelor und Master hoffnungslos überfordert sind, die Burn-out bekommen, die sich in dem verschulten Betrieb eingezwängt fühlen. Das sind zu viele Mängel, die nicht mehr hinnehmbar sind. Wir müssen uns jetzt einfach zur Wehr setzten.“

Aber auch die Schüler mobilisieren vielerorts und lassen ihren Unmut freien Lauf. „Wir wollen nicht wie Maschinen funktionieren und nur noch turbo lernen“, kritisiert die Berliner Schülersprecherin Paula Rauch mit Blick auf die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von neun auf acht Jahre. „Wir wollen für das Leben lernen, nicht nur für die Wirtschaft.“

Der bundesweite Protesttag soll Auftakt für eine Aktionswoche ab dem 30. November sein. Am 10. Dezember sollen die Kultusminister „nachsitzen“. Mehrere Studentengruppen wollen deren Tagung in Bonn solange blockieren, bis sie die Hochschul-Leitungen von Änderungen in den Bachelor-Studiengängen überzeugt haben. Bei manchem Kultusminister rennen die Studenten mit ihren Forderungen offene Türen ein. Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) räumt „handwerkliche Fehler“ bei der Einführung der neuen Studiengänge ein.

Allerdings sind den meisten Bildungspolitikern die Hände gebunden. Der Bund hat mit der Föderalismus-Reform 2006 weitgehend seine Mitwirkungsrechte bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen an den Hochschulen an die Länder abgetreten. Viele Bundesländer haben gleichzeitig die Autonomie der Hochschulen gestärkt und durch sogenannte Hochschulfreiheitsgesetze auf Einwirkungsmöglichkeiten verzichtet.

Mancher Rektor oder Hochschul-Professor sieht die Proteste durchaus auch mit Wohlgefallen. Sie unterstreichen zugleich die Forderungen der Hochschulen nach einer besseren finanziellen Ausstattung für die Lehre, vor allem in den neuen Bachelor- Studiengängen. (dpa/HA)