Seit Anfang der 60er Jahre bis kurz vor der Wende war der Würzburger Diözesanpriester Karlheinz Frühmorgen als Schmuggler für die gute Sache tätig.

Würzburg. „Ich muss verraten worden sein“, sagt Karlheinz Frühmorgen. Im Jahr 1970 war es, am innerdeutschen Grenzübergang bei Rudolphstein. Dort nahmen die DDR-Grenzsoldaten seinen Wagen auseinander und wurden fündig: 58 Theologika, ein paar Tausend DDR-Mark, ein Abzugsapparat zur Vervielfältigung von Schriften und jede Menge Papier – bestimmt für katholische Pfarrer in Ostdeutschland. Seit Anfang der 1960er Jahre war der Würzburger Diözesanpriester als Schmuggler für die gute Sache tätig, und blieb es bis kurz vor der Wende.

Heute kann der 71-Jährige locker über seine riskanten Fahrten in die DDR plaudern. 1963 war er zum Priester geweiht worden. Kurz danach wurde auf einer Kapläne-Konferenz gefragt, wer inkognito den Kontakt zu den Gemeinden der beiden Dekanate des Bistums Würzburg in der DDR halten möchte, die heute zum Bistum Erfurt gehören. Frühmorgen meldete sich. Damals waren längere Besuche nicht möglich, nur Veranstaltungen wie Leipziger Messen im Frühjahr und Herbst oder später auch die Blumenschau in Erfurt boten Gelegenheit, für Westdeutsche über Nacht in der DDR zu bleiben.

Diese Chance nutzte Frühmorgen, aber nicht als Priester. „Da wäre ich an der Grenze gleich wieder zurückgeschickt worden.“ Stattdessen firmierte er als Schuhhändler. Die Eltern eines Mitglieds der Katholischen Jugend hatten ein Schuhgeschäft im unterfränkischen Marktbreit – sie sorgten für das Alibi. Auch die Behörden spielten mit: Frühmorgen bekam einen zweiten Pass -eigentlich unmöglich. Das Landratsamt stellte ihn dennoch aus, eingetragen war darin sein „neuer“ Beruf.

So fuhr der falsche Schuhhändler immer nach Leipzig, „das Auto vollgepackt mit illegaler Ware“. Diese war versteckt in der Verkleidung, hinter dem Handschuhfach, unter dem zweiten Deckel im Kofferraum oder hinter den Radkappen. Bei „Tante Elisabeth“ in Leipzig, dem Elisabethenkrankenhaus, wurden alle Autos entladen, die ebenso wie Frühmorgen Unterstützung für die katholische Kirche in die DDR brachten. Danach ging es auf die Messe: „Ich musste mich ja ein bisschen über die neuen Schuhtrends informieren, falls ich bei der Ausreise danach gefragt werde.“

1970 dann, Frühmorgen war schon Religionslehrer, flog sein Schmuggel auf. Es folgten acht Tage Haft mit Dauerverhören. „Das war Psychoterror: Immer drei Mann haben mich befragt, alle drei Stunden wechselten sie sich ab.“ In den zehn Minuten, in denen sich die Beamten austauschten, schlief Frühmorgen an der Wand stehend. „Ich war 32 Jahre alt, fit, kam aus dem Urlaub und außerdem hab’ ich mich mit Westkaffee wachgehalten – den haben sie mir angeboten.“

Neun Monate Gefängnis auf zwei Jahre Bewährung, lautete das Urteil des Bezirksgerichts Leipzig-Mitte. Die „Schmuggelware“ wurde ebenso eingezogen wie sein Auto. „Das war ein NSU Prinz, gerade ein Vierteljahr alt.“ 2.000 West-Mark sollte er auch noch zahlen, um seinen Pass wiederzubekommen. Ein Schwager in der Bundesrepublik schickte ihm das Geld. In der Zwischenzeit genoss Frühmorgen ganz frech für acht Tage das Leben in der DDR zu Zeiten der Leipziger Messe.

Im Opernhaus lud die Staatsführung etwa zum großen Ballettabend für die internationalen Gäste: „Der Nussknacker“ von Tschaikowsky wurde gegeben, und Frühmorgen mischte sich im schwarzen Anzug unter die Besucher. Am Tag darauf hörte er sich den Thomanerchor an. „Die Familie Münnich, bei der ich in Leipzig wohnte, hat sich vor Lachen gebogen, als ich das erzählte.“ Als Frühmorgen wieder zurück in Westdeutschland war, bekam er vom Bistum Würzburg das Auto und die 2.000 Mark ersetzt.

Trotz des Vorfalls fuhr er weiter in die DDR. Die Reiseerleichterungen durch die Ostpolitik Willy Brandts halfen ihm. Im Gepäck hatte er immer, was die Pfarreien im Osten brauchten: Gold für Statuen in Kirchen oder auch das ein oder andere Ersatzteil für Orgeln – später konnte er die Güter bei der Einreise sogar angeben. „Ich möchte diese Zeit nicht missen“, sagt Frühmorgen. Nur eins blieb ihm verwehrt: Die Wende direkt an der Grenze zu erleben. Frühmorgen lag damals lange im Krankenhaus: „Da hätte ich platzen können.“