Verhandlungsführer traten vor den Fraktionen auf. Streitthema Nummer eins bleibt die Steuerpolitik.

Berlin. So unterschiedlich ausgeprägt kann Diskussionskultur sein: Nachdem die Mitglieder der Unionsfraktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer gestern über den Zwischenstand der Koalitionsverhandlungen informiert worden waren, reckten sich im Anschluss nur zwei Finger nach oben. Die beiden Wortmeldungen aus dem Kreis der Abgeordneten betrafen die Bedeutung des ländlichen Raums, der bitte nicht zu vernachlässigen sei, und die globalisierte Ökologie - nicht gerade die strittigsten Themen, die derzeit verhandelt werden.

Nach gut drei Stunden trennten sich die Parlamentarier wieder. Bei der FDP-Fraktion nebenan, die sich ebenfalls um Punkt 13 Uhr versammelt hatte, begann man zu diesem Zeitpunkt erst, sich warm zu reden. Bis 17.30 Uhr wurden die Ergebnisse sämtlicher Arbeitsgruppen ausführlich diskutiert - allerdings mit Ausnahme der zwischen den Verhandlungspartnern noch immer nicht geklärten Großbaustellen, insbesondere in der Steuer- und Finanzpolitik. Fraktionschef Guido Westerwelle zog sich bereits nach einer halben Stunde zurück - er hatte sich eine Erkältung eingefangen und bat um Schonfrist für die heute anstehenden Verhandlungen in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens, die sich - wie allgemein erwartet wird - bis in die Nacht hinziehen dürften.

Merkel sicherte nach Angaben von Teilnehmern der Fraktionssitzung Steuersenkungen für die kommende Legislaturperiode zu, viele andere Wünsche könnten aber nicht erfüllt werden. Umfang und Zeitpunkt der Steuerreform seien allerdings weiterhin unklar, bestätigte Fraktionschef Volker Kauder anschließend.

Merkel betonte, dass die Steuerpläne auch von den Ländern im Bundesrat mitgetragen werden müssten. Da passte es, dass die CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und Günther Oettinger und etliche Länderfinanzminister gestern erneut vor zu massiven Steuersenkungen warnten, weil dadurch die Finanzpolitik der Länder erheblich erschwert würde. In Berlin heißt es, dass diese Statements in der sensiblen Phase der Verhandlungen durchaus mit Merkel abgesprochen worden sein dürften. Denn in den Koalitionsverhandlungen sind es vor allem die FDP und die CSU, die auf massive Abgabensenkungen pochen. Merkel erinnerte nach Abendblatt-Informationen vor der Fraktion auch an die klammen Kommunen. Es gehe nicht nur um die Haushalte von Bund und Ländern. Union und FDP müssten in den kommenden Tagen bei den Ausgaben Prioritäten für Wachstum setzen. Merkel stimmte die Abgeordneten auch auf eine unverändert schwierige Wirtschaftslage ein. "Nach dem Jahreswechsel stehen Deutschland extrem ernste Monate bevor", sagte sie. Die Arbeitslosenzahlen dürften weiter steigen. Die Koalition aus Union und FDP müsse nach der Regierungsbildung schnell ein "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" auf den Weg bringen.

Die Kanzlerin erwähnte laut Teilnehmern auch den geplanten Sonderfonds, über den die Sozialbeiträge stabil gehalten werden sollen. Eine Option zur Umsetzung sei ein Nachtragshaushalt.

Die Koalitionspartner in spe wollen alle noch offenen Fragen zu Steuern und Finanzen und damit auch zu weiteren Ausgaben und Einsparungen ab heute in der mehrtägigen Schlussrunde der Koalitionsverhandlungen klären. Angesichts der scharfen Begleitmusik durch die Ministerpräsidenten dürfte es dabei erneut hoch hergehen. Aus Verhandlungskreisen heißt es aber, dass heute zunächst redaktionelle Fragen des in Teilen bereits ausgearbeiteten Vertrags auf der Agenda stehen. Ab Donnerstag gehe es dann richtig ins Eingemachte. Inzwischen wird erwartet, dass die Gespräche bis Sonnabend dauern und damit einen Tag länger als geplant. Nur mit Glück sei das Marathon-Programm bis Freitagabend zu schaffen.

Ganz am Schluss steht die Entscheidung über das Personal. Sowohl bei der Union als auch der FDP sind für das Wochenende Sondersitzungen der Fraktionen anberaumt, bei denen alle Ergebnisse - auch die Entscheidungen darüber, wer künftig am Kabinettstisch Platz nehmen wird - diskutiert werden sollen. Der Wiederwahl von Angela Merkel als Kanzlerin steht all das nicht entgegen. Dieser Termin ist erst für kommenden Mittwoch anberaumt.