Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin wegen dessen abwertender Äußerungen geistige Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen.

Berlin. "Ich habe den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist", sagte der Generalsekretär des Zentralrates, Stephan Kramer, am Freitag in Berlin. "Er steht in geistiger Reihe mit den Herren."

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, forderte erneut den Rücktritt Sarrazins von seinem Posten und will sich bei Bundesbank-Präsident Axel Weber dafür in einem Gespräch einsetzen. In dem vor mehr als einer Woche erschienenen langen Interview über Berlins wirtschaftliche Zukunft hatte Sarrazin unter anderem von "neuen kleinen Kopftuchmädchen", die "produziert" würden, gesprochen und kritisiert: "Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate." Die Berliner Staatsanwaltschaft überprüft nach Aussage eines Sprechers weiterhin, ob Sarrazin mit seinen Äußerungen die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten habe. Inzwischen liege auch eine private Anzeige gegen ihn vor, und weitere Anzeigen seien "unterwegs", so der Sprecher.

Kramer sagte, die Sätze Sarrazins seien "perfide, infam und volksverhetzend". Die Analyse Sarrazins über Probleme der Unterschichten erinnere an die Untermenschen-Terminologie der Nazis. Er fügte hinzu: "Ich will mich nicht auf das Niveau von Sarrazin begeben. Würde ich das tun, würde ich das als intellektuellen Dünnschiss bezeichnen." Man müsse solchen Tendenzen rechtzeitig Einhalt gebieten. Auch die Nazis hätten in den 20er-Jahren "mal klein angefangen". "Es geht mir darum, auf den Trend aufmerksam zu machen." Kramer räumte ein, es gebe integrationsunwillige Menschen in der türkisch- oder arabischstämmigen Bevölkerung. Das liege aber auch an fehlenden Integrationsbemühungen der deutschen Gesellschaft, die selbst Akademiker mit türkischen Namen diskriminiere. Er betonte, er würde gerne eine öffentliche Diskussion mit Sarrazin über das Thema führen. Einen Rücktritt Sarrazins lehnte Kramer ab. Stattdessen solle der frühere Berliner Finanzsenator für fünf Euro die Stunde arbeiten und sein restliches Gehalt sozialen Einrichtungen spenden. Kolat nannte Sarrazins Äußerungen "stigmatisierend und menschenverachtend". Urheber derartiger Sätze müssten von den Gerichten verfolgt werden. Er habe "richtig Angst" vor dieser Art der Diskriminierung. "Die Verbitterung und Enttäuschung ist bei uns sehr groß. Aber wir werden gegen Diskriminierung kämpfen bis zum Umfallen." Er habe Weber einen Brief geschrieben und um ein Gespräch gebeten. Dabei solle die Forderung nach Rücktritt noch mal "stärker formuliert" werden. Eine Antwort Webers stehe aber noch aus.

Die türkischstämmige Autorin und Frauenrechtlerin Necla Kelek verteidigte hingegen Sarrazin. "Ich würde mir diesen klaren Blick auch von manchen anderen Politikern wünschen", schrieb Kelek in der "Bild"-Zeitung.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) schrieb in der gleichen Zeitung, Sarrazin habe sicher die eine oder andere Wahrheit ausgesprochen. "Dennoch denke ich, dass sein Rundumschlag zur Integrationspolitik nicht wirklich hilfreich ist." Er reiße nur Gräben auf.