Neun Monate nach der Landtagswahl haben SPD und Grüne den Machtwechsel in Hessen eingeleitet. Nach gut zwei Wochen Verhandlungen einigten sich die...

Wiesbaden. Neun Monate nach der Landtagswahl haben SPD und Grüne den Machtwechsel in Hessen eingeleitet. Nach gut zwei Wochen Verhandlungen einigten sich die Parteien auf eine von den Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung. Mit dem Koalitionsvertrag seien Grundsteine für einen Politikwechsel gelegt, sagte die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti.

Für Überraschung sorgte die Besetzung des Kabinetts, dem Ypsilantis parteiinterner Widersacher Jürgen Walter nicht angehört. Er habe sich selbst dazu entschlossen, sagte sie. Am 1. und 2. November sollen Parteitage von SPD und Grünen den Koalitionsvertrag absegnen. Bei den Linken läuft ein Mitgliederentscheid, ob die Partei im Landtag eine rot-grüne Minderheitsregierung dulden soll. Die Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin und Nachfolgerin von Roland Koch (CDU) ist für den 4. November geplant.

Da die SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger die Zusammenarbeit mit den Linken ablehnt , hat das rot-grün-rote Lager nur eine Stimme Mehrheit. Die Grünen sollen in der neuen Landesregierung das Umwelt- und das Kultusministerium besetzen. Landeschef Tarek Al-Wazir soll Umweltminister werden und den Bereich der erneuerbaren Energien verantworten. Das ist ein zentrales Anliegen der neuen Koalition, das Zehntausende Arbeitsplätze schaffen soll. Hessen solle ein "Musterland der erneuerbaren Energien" werden, sagte Ypsilanti. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Umweltexperte Hermann Scheer soll Wirtschaftsminister werden.

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SPD und Grüne wollen bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 der Hälfte aller weiterführenden Schulen die Möglichkeit einräumen, eine "Neue Schule" zu werden. Zusätzlich soll die Lehrerversorgung an Grundschulen, Förderschulen und in der Mittelstufe auf 105 Prozent des Bedarfs angehoben werden. Das bedeutet nach Ypsilantis Angaben Mehrausgaben von 40 Millionen Euro pro Jahr. Die Neue Schule orientiert sich an skandinavischen Schulmodellen. Sowohl Haupt- und Realschulen als auch Gymnasien und Gesamtschulen sollen sich in Neue Schulen umwandeln können, die künftig alle Schulabschlüsse anbieten. Die neue Schulform, an der es kein Sitzenbleiben gibt, soll ganztägig arbeiten.

Um die Einnahmesituation des Landes zu verbessern, einigte sich Rot-Grün auf die Einführung eines Wassercents, der dem Haushalt 130 Millionen Euro einbringen soll. Es wird außerdem einen Doppelhaushalt für 2009 und 2010 geben. In jedem Jahr müssten zusätzlich 200 Millionen Euro eingespart werden, die in Projekte des rot-grünen Politikwechsels umgelenkt werden sollten. Im Haushalt klafft nach Angaben der Grünen eine Lücke von 1,5 Milliarden Euro. Der Grünenvorsitzende Al-Wazir meinte, man habe noch nicht das ganze Ausmaß der Schuldenlast ans Tageslicht gebracht.

Den Ausbau der Flughäfen in Frankfurt/Main und Kassel-Calden befürwortet die SPD, während die Grünen dagegen sind. In Frankfurt wollen die Koalitionspartner trotz eines Feststellungsbeschlusses zum Ausbau versuchen, noch ein absolutes Nachtflugverbot durchzusetzen.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sprach von einer Koalition, die auf "Wahlbetrug" basiere. "Der Erfolg des Landes Hessen wird durch dieses waghalsige politische Experiment aufs Spiel gesetzt. Fatal ist, dass die SPD-Führung in Berlin gegen diese geplante Wortbruch-Koalition weiterhin nichts unternimmt."

Die hessische CDU und die FDP sehen in dem Koalitionsvertrag übereinstimmend eine "Kampfansage" an die hessische Wirtschaft. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) warnte die Sozialdemokraten vor einem "Harakiri-Experiment", das sie abhängig mache von der Zustimmung der Linken mache, die die soziale Marktwirtschaft insgesamt in Frage stellten.