Der Präsident des Deutschen Forums Erbrecht, Prof. Dr. Klaus Michael Groll, über kleine und große Erbschaften - und was davon künftig bleibt.

ABENDBLATT: Herr Prof. Groll, die Erbschaftssteuerreform ist eines der Mammutprojekte der Großen Koalition. Wer sind die Gewinner der neuen Regelungen?

KLAUS MICHAEL GROLL: Gewinner sind Ehegatten, Kinder und Enkel, wenn das Vermögen eine Größenordnung bis etwa 500 000 Euro hat, weil der Freibetrag angehoben wird von 205 000 auf 400 000 bei Kindern, bei Ehegatten von 307 000 auf 500 000 und bei Enkeln von 51 200 auf 200 000 Euro. Die Regierung stellt es so dar, als ob die Genannten generell die Gewinner seien. Das gilt aber beispielsweise nicht bei Immobilien in Ballungsgebieten wie in Hamburg oder München.

ABENDBLATT: Was macht dort den Unterschied aus?

GROLL: Mit dem Verkehrswert der Immobilien kommen wir hier leicht über den Freibetrag von 500 000 Euro hinaus.

ABENDBLATT: Wie berechnet man den Verkehrswert von Omas Häuschen?

GROLL: Der Verkehrswert steht nirgendwo. Mit Sicherheit wird diese Reform zu mehr Streit zwischen Finanzamt und Bürger führen. Der Bürger wird in die Steuererklärung 300 000 Euro hereinschreiben. Das Finanzamt wird sagen: Das sind aber 450 000 Euro. Dann werden Gutachten eingeholt. Es wird zu einer enormen Mehrbelastung der Finanzverwaltung führen.

ABENDBLATT: Wer sind nach dem Buchstaben der Gesetzesvorlage die Verlierer der Reform?

GROLL: Aus meiner Sicht sind das die Neffen, Nichten und Geschwister. . .

ABENDBLATT: . . . die entfernten Verwandten. . .

GROLL: . . . so werden sie genannt! Also die Tochter meines Bruders ist eine entfernte Verwandte. Meine eigene Schwester ist eine entfernte Verwandte. Das ist doch ein Witz. Ich habe in meiner Praxis als Fachanwalt genug Fälle, in denen Menschen entweder keine Kinder haben und der Neffe, die Nichte infrage kommen. Oder sie haben ein kleines Unternehmen und der Neffe ist der Einzige, der denselben Beruf ergriffen hat.

ABENDBLATT: In der Union gibt es Vorbehalte bei den Neuregelungen für Unternehmen. Da soll im Bundestag noch an dem Kabinettsbeschluss geschraubt werden. Ist das sinnvoll?

GROLL: Der Knackpunkt ist, dass 15 Prozent eines Betriebsvermögens auf jeden Fall versteuert werden müssen. Das hatte man in den Verhandlungen zu der Reform so nicht gehört. Man dachte, man kann sich eine völlige Steuerfreiheit erarbeiten, wenn man den Betrieb zehn Jahre erhält. Das hat die Kommission im letzten Augenblick geändert. Das ist die Linie von Kurt Beck, die der SPD. Dieser Schuss geht nach hinten los. Geschwächte Unternehmen haben oft einen Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge. Und zehn Jahre lang darf die Summe aller gezahlten Löhne nicht unter 70 Prozent des Ausgangspunktes liegen.

ABENDBLATT: Und wenn im achten Jahr nach dem Erben in einer Bäckerei mit zehn Mitarbeitern drei gehen, die Geschäfte schlecht laufen, weil ein Konkurrent aufmacht?

GROLL: Dann fällt die Erbschaftssteuer nachträglich an. Zweiter Punkt: 15 Jahre lang nach dem Erbfall darf ich das Betriebsvermögen nicht schmälern. Wenn ich einmal zu viel entnehme, sagen wir im 14. Jahr, dann bekomme ich einen Erbschaftssteuerbescheid. Es kann sein, dass das bei einer Betriebsprüfung im 18. Jahr nach dem Erbfall rauskommt. Dann ergeht ein Erbschaftssteuerbescheid, ich lege Einspruch ein und eventuell geht das bis zum Bundesfinanzhof. Es wird eine Reihe von Fällen geben, in denen 26 bis 27 Jahre nach dem Erbfall rechtskräftig festgestellt wird, ob Erbschaftssteuer gezahlt wird.

ABENDBLATT: Was ist mit den Steuereinnahmen? Die Bundesregierung sagt, den Bürgern werden nicht mehr als vier Milliarden Euro durch die Erbschaftssteuer abgeknöpft.

GROLL: Der Staat wird sicher mehr einnehmen. Bei den Neffen, Nichten, Geschwistern unter den Erben haben wir solche Steigerungsraten, dass das Steueraufkommen steigen wird. Das ist eine bewusste Verschleierung aus der Politik. Ein Fall, der auch in Hamburg immer wieder vorkommt: Eine Immobilie wird an einen Neffen vererbt, Verkehrswert: eine Million Euro. Der Neffe zahlt 294 000 Euro Erbschaftssteuer. Da reicht die Anhebung des Freibetrages auf 20 000 Euro niemals aus.

ABENDBLATT: Was werfen Sie der Koch-Steinbrück-Kommission vor?

GROLL: Da waren Leute am Werk, die von der Praxis keine Ahnung haben. Außerdem gibt es Ungerechtigkeiten und Belastungen, die ich für zum Teil verfassungswidrig halte.

ABENDBLATT: Glauben Sie, dass sich im Gesetzgebungsverfahren noch etwas ändern wird?

GROLL: Ich denke schon. Wenn Rot-Grün oder die Linke solch ein Gesetz gemacht hätten, hätte man gesagt: Das entspricht deren Ideologie. Aber Rot-Grün hat ja auch die Unternehmen entlastet. Dass die SPD, die die Agenda 2010 durchgeboxt hat, mit der Union solch ein Gesetz auf den Weg bringt, hätte man sich vor einem Jahr nicht träumen lassen. Das haben jetzt auch viele Abgeordnete begriffen.