Kommentar

Den Umgang mit der Nazi-Vergangenheit haben wir Deutschen gelernt. Jahrzehnte demokratischer, freiheitlicher und wachsamer Aufarbeitung haben zu vielen Antworten auf die zentralen Fragen geführt: Was ist in Hitler-Deutschland geschehen? Wie konnte das geschehen? Und welche Schlüsse haben wir daraus gezogen? Dennoch empfindet man gerade in diesen Tagen ein weiteres Mal Scham. Sie hat zu tun mit einem Rabbiner, der mitten unter uns niedergestochen wird, mit dem Bürgermeister einer ostdeutschen Kleinstadt und einer Fernsehmoderatorin namens Eva Herman.

Der Mügelner Bürgermeister hatte das ausländerfeindliche Potenzial seiner Gemeinde dadurch verniedlichen wollen, dass einem der Ruf "Ausländer raus" schon mal rausrutschen könne. So viel Dummheit darf nicht sein bei politischen Repräsentanten oder populären Moderatoren. Wer über die Autorität eines Amtes (Bürgermeister) oder eine öffentliche Plattform (Fernsehen) verfügt, braucht Sensibilität.

Wir Deutschen sind längst so geschichtsgestählt, dass wir sogar Hitler-Parodien und NS-Satiren ("Schtonk") ebenso gut meistern wie ernste Aufbereitung ("Der Untergang") - ganz abgesehen von unseren renommierten Historikern.

Andererseits ist es der normale Wahnsinn unserer Tage, wenn in Hamburg an einem Ort nahe der Bücherverbrennungen der Nazis die Synagoge einer friedlichen Gottesgemeinde geschützt werden muss. Dieser Schutz ist notwendig - gerade deshalb ist es im Angesicht unserer Geschichte so beschämend.

Die deutsche Vergangenheit ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen in diesem Land. Sie ist nicht beendet. Sie fängt an jedem Tag neu an, an dem wir sie verdrängen wollen.