Priester: Kardinal Lehmann rechnet mit immer mehr Enthüllungen über sexuelle Verfehlungen von deutschen Geistlichen.

Hamburg. Elf Jahre war Markus alt, als sich ihm der Pfarrer Veix zum ersten Mal näherte. Zweimal hat der Priester ihn angefasst. Im Pfarrhaus der Sankt-Michael-Kirche im fränkischen Sandberg. Die Gemeinde, die drei weiße Kreuze auf rotem Grund in ihrem Wappen führt. Die so an die Kreuzigung Jesu erinnert. Zu Ostern hat der Pfarrer Veix dann auch reinen Tisch gemacht. Er hat den Domkapitular im nahen Würzburg angerufen. Und nach dem Geständnis vor seinem Vorgesetzten hat Veix sich bei der Polizei in Schweinfurt selbst angezeigt. Seitdem wird der Priester therapiert. Irgendwo in Deutschland. Um den Fall kümmert sich nicht nur die Staatsanwaltschaft. Auch im Vatikan haben Juristen eine Akte Veix angelegt. Der Würzburger Generalvikar hat Vernehmungsprotokolle und das Geständnis persönlich nach Rom gebracht. Es ist nicht die einzige Akte, die die Kirchenjuristen über sexuellen Missbrauch durch Geistliche an Kindern und Jugendlichen in Deutschland in ihren Schränken finden: Alleine in den vergangenen Wochen wurden Missbrauchsfälle in den Bistümern Mainz, Paderborn, Regensburg, Würzburg und Essen bekannt. Zwar sei die Zahl der Enthüllungen nicht so alarmierend wie in den USA. Aber, gesteht der Mainzer Bischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sie "treffen die katholische Kirche Deutschlands ins Mark". Die Enthüllungen über Kindesmissbrauch in den USA und die Einbestellung 13 amerikanischer Kardinäle zu einem Krisengipfel bei Papst Johannes Paul II. haben nach Einschätzung eines Sprechers der Deutschen Bischofskonferenz auch hier Opfer ermutigt, ihr manchmal jahrzehntelanges Schweigen zu brechen. Trotzdem kann sich das oberste Gremium der Bischöfe selbst zum Erstaunen vieler Kirchenrechtler nicht zu einem bundesweit einheitlichen System durchringen, wie es künftig mit den kirchlichen Missbrauchsfällen umgehen will. Es sei Sache der Bistümer, Verdachtsfällen nachzugehen. Jede Diözese müsse selbst entscheiden, wie sie vorgehe. Schließlich, so argumentiert Lehmann, "handelt es sich nicht um die Spitze eines Eisberges". Etwa 300 aller deutschen katholischen Priester seien pädophil veranlagt, sagt der katholische Psychotherapeut Wunibald Müller. Das wären knapp zwei Prozent der Kleriker. Über ihr Tun wurde oft ein Mantel des Schweigens gelegt. Die Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im rheinland-pfälzischen Siershan kritisiert: Oftmals würde die Tat dadurch vertuscht, dass Pfarrer einfach in eine andere Gemeinde versetzt würden. "Die sind in der Regel nicht über das Vorleben ihres Kinder schändenden Hirten informiert", hat Johannes Heibel, Vorsitzender der Initiative, festgestellt. Und in manchen Fällen sei das Schweigen der Opfer und ihrer Familien erkauft worden. In Deutschland ist in den vergangenen Jahren Kindesmissbrauch durch Priester nur dann bekannt geworden, wenn er strafrechtliche Konsequenzen hatte. Ein schwäbischer Pfarrer wurde zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Missbrauchs in 59 Fällen verurteilt. Ein Seelsorger in Aachen wartet noch auf seine Verhandlung. Bei der Durchsuchung seines Pfarrhauses fand die Polizei 40 000 "pornografische Kinderfotos" und 700 Videofilme. Aus der Klosterzelle, in die der Geistliche zur Therapie gesteckt worden war, trugen die Ermittler weitere 4000 Fotos. Es ist nicht das Ende: "Ich rechne mit weiteren Enthüllungen dieser Art", sagt Kardinal Lehmann. Die Kirche habe Fehler gemacht, sagt der Hildesheimer Domkapitular Werner Holst. "Früher haben wir die Täter nur zur Buße in ein Kloster gebracht."