Nur noch ein großes Wunder kann Rot-Grün bei der bevorstehenden Bundestagswahl retten. Denn Rot-Grün zerlegt sich von Tag zu Tag mehr. Im unwürdigen Spiel des Kanzlers und der Koalitionäre um die Vertrauensfrage offenbart sich ein dramatischer Zerfallsprozeß.

Die Zeichen stehen deshalb ganz klar auf Machtwechsel. Rot-Grün ist stehend k.o., in dieser Verfassung für Schwarz-Gelb kein echter Gegner mehr. Wie es aussieht, könnte sich die Union im Bunde mit den Liberalen nur selbst um einen Sieg bringen. Dazu müßten vor allem CDU und CSU in den nächsten Monaten aber weit mehr politische Dummheiten und Tölpeleien begehen, als unter Angela Merkel Führung eigentlich vorstellbar sind.

Dazu hat die frischgebackene Kanzlerkandidatin in den zurückliegenden Jahren zuviel Klugheit und Führungskraft gezeigt. Sie hat die CDU zu Zeiten der Kohlschen Finanzaffäre durch schwierigste Gewässer gesteuert und gleichzeitig die personelle wie programmtische Erneuerung der Partei beherzt vorangetrieben. Es ist also kein Zufall, sondern vor allem Ausweis von Können, daß Merkel an all den ehrgeizigen Männern vorbeigezogen ist und vor dem Sprung ins Kanzleramt steht.

Ob die Union diesmal besonders bei Wählerinnen und in Ostdeutschland punkten kann, weil sie mit Merkel eine Frau aus dem Osten nominierte, ist offen. Aber es ist erfreulich, daß jemand aus dem Osten und endlich eine Frau für das höchste Regierungsamt nominiert wurde. Die Zeit dafür war längst reif. Gleichwohl ist es nicht entscheidend, ob eine Frau oder ein Mann im Kanzleramt regiert. Viel wichtiger ist, wofür sie ihre Macht nutzen wollen. Weil das bei Rot-Grün oft nicht klar wurde und Erfolge ausblieben, ist die Enttäuschung über die Koalition groß. Davon profitiert die Union.

Ein Machtwechsel wird sich für die Deutschen aber nur dann lohnen, wenn eine neue Regierung nicht nur von der Schwäche der Alten zehrt, sondern wenn sie von eigener Kraft leben kann. Wenn sie also über ausgereifte Konzepte verfügt, Perspektiven aufzeigt und den Mut zu der Ehrlichkeit findet, unbequeme Wahrheiten auch vor der Wahl auszusprechen. Merkel hat das versprochen. Will sie die deutsche Krankheit nicht verschlimmern, sondern heilen, dann muß sie dieses Versprechen jetzt halten.