61-Milliarden-Loch: Eichel will Sparkurs nicht verschärfen. Wie er die Etatprobleme aber langfristig lösen will, blieb gestern ein Rätsel.

Berlin. Als Hans Eichel 1999 Bundesfinanzminister wurde, modelte der bis dahin sogar in den eigenen Reihen als Mann ohne Ausstrahlung verspottete Sozialdemokrat gekonnt sein Image um. Plötzlich machte der spröde Hesse als "sparsamer Hans" Furore. Als Ausbund an Solidität wollte er wirken, in der Öffentlichkeit auf diese Weise den Eindruck erwecken, die Bundeskasse sei bei ihm in besten Händen. Anfänglich verfing diese PR-Masche. Eichel hatte prächtige Popularitätswerte, galt als Gerhard Schröders Lieblingsminister und wurde gar als Reservekanzler gehandelt.

Das alles ist längst Geschichte. Je häufiger sich Eichels Kalkulationen als falsch erwiesen, desto stärker schrumpfte sein Ansehen in der Folgezeit auf inzwischen nur noch kärgliche Reste zusammen. Und seit der neuesten, gestern präsentierten amtlichen Steuerschätzung, hat es der rot-grüne Kassenwart jetzt praktisch schwarz auf weiß: Seine gesamte Haushalts- und Finanzplanung ist erneut Makulatur. Sie gründete - mal wieder - auf unrealistischen Annahmen. Nach Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung wird der Staat bis Ende 2007 etwa 61 Milliarden Euro weniger Steuern einnehmen als bisher angenommen worden war.

Doch auch die Prognosen der Steuerschätzer sind mit größter Vorsicht zu genießen. Die wurden jetzt zum siebten Mal in Folge nach unten korrigiert. Wer dennoch, wie Eichel und manche Bundesländer, seine Etats auf die Vorhersagen der Steuerschätzer gründete, baute auf Sand und hat jetzt ein dickes Finanzproblem.

Eichels Problem ist dabei ganz besonders groß. Er muss nämlich nicht nur neue Steuerausfälle verkraften. Sein Etat birgt noch etliche andere Risiken. Er ist, schäumt nicht nur der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann, schlichtweg "auf Fantasiedaten aufgebaut". Austermann lag in den vergangenen Jahren mit seinen Kalkulationen meistens erheblich besser als die gesamte Bundesregierung.

So hatte Eichel für den Bundesetat 2004 einen Bundesbankgewinn von 3,5 Milliarden einkalkuliert. Tatsächlich überwiesen wurden wegen niedriger Zinsen und dem schwachen Dollar nicht einmal 0,3 Milliarden Euro. Also bleibt Eichel ein Fehlbetrag von 3,2 Milliarden Euro.

Durch das Desaster bei der Lkw-Maut gehen dem Bund bereits einkalkulierte Einnahmen von rund zwei Milliarden Euro verloren. Etwa die Hälfte der Summe soll durch vorzeitige Rückzahlung eines Darlehens durch die Deutsche Bahn hereinkommen. Aber es bleibt auch hier eine Lücke von etwa einer Milliarde Euro. Der Bund muss überdies, nach Ansicht fast aller Experten, mit erheblichen Mehrausgaben für den Arbeitsmarkt rechnen. Etliche andere Etatposten wurden ganz offenkundig ebenfalls zu optimistisch kalkuliert.

Allein im laufenden Jahr 2004 muss Eichel nach eigenem Bekunden deshalb eine Haushaltslücke von bis zu elf Milliarden Euro stopfen. Bis 2007 rechnet CDU-Haushälter Austermann, anders als die Steuerschätzer, mit einem 70-Milliarden-Loch. Deshalb sei jetzt eine "totale Revision der Finanzplanung von Bund und Ländern nötig", sagte er dem Abendblatt. "Eichels Schönrechnerei schafft kein Vertrauen."

Der Finanzminister selbst wandte sich gestern gegen eine "hektische Verschärfung des Sparkurses". Aber wie er die Finanzprobleme anders lösen will, blieb gestern weitgehend ein Rätsel. Eichel redet von Privatisierungserlösen. Gemeint ist damit in aller Regel eine Verschiebung von Post- und/oder Telekom-Aktien an die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die KfW versorgt im Gegenzug den Finanzminister mit frischem Geld. Unter Experten gelten solche Parklösungen als verdeckte Form der Schuldenfinanzierung. Ganz offen will Eichel neue Schulden noch obendrein aufnehmen. Ob und wie das zum Grundgesetz und auch zum Euro-Stabilitätspakt passt, bleibt vorläufig Eichels Geheimnis. Doch dass der "sparsame Hans" zum "blanken Hans", zum "Schulden-Hans" mutiert, ist spätestens seit gestern kein Geheimnis mehr.