Hamburg. Abendblatt:

Herr Schmoldt, es gibt Koalitionsrunden, Bankengipfel, Autogipfel, Krisengipfel. Gaukeln uns diese Veranstaltungen nur vor, dass die Politik überhaupt etwas bewirken kann gegen die sich anbahnende Weltwirtschaftskrise?

Schmoldt:

Da wir fast gleichzeitig weltweit einen Niedergang der wirtschaftlichen Entwicklung zu verzeichnen haben, sind überzeugende Antworten gefordert. Die Idee des Bundespräsidenten zu einer konzertierten Aktion ist deshalb richtig. Denn in dieser Situation müssen alle, die in unserem Land mitgestalten, Verantwortung übernehmen. Ich halte es für grundfalsch, eine negative Stimmung zu verbreiten. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik hat auch viel mit Psychologie zu tun. Deshalb müssen wir gerade in dieser Situation den Menschen eine Zukunftsperspektive bieten.



Abendblatt:

Sollte es Steuerentlastungen geben, müsste Finanzminister Peer Steinbrück seine starre Haltung zur Haushaltsdisziplin aufgeben.

Schmoldt:

Ich glaube, dass er weiß, je zögerlicher sich die Regierung jetzt an eine weitere Verschuldung heranwagt, desto länger wird die Krise dauern, desto tiefer wird sie sein und desto mehr bürden wir kommenden Generationen auf. Peer Steinbrück hat erkannt: Wer glaubt, die Tür zuhalten zu können, dem wird sie eingetreten.



Abendblatt:

Was hilft noch außer Steuererleichterungen?

Schmoldt:

Es muss auch etwas kurzfristig Wirksames passieren: Zum Beispiel sollten Konsumgutscheine an die 23 Millionen Bürger ausgegeben werden, die von Steuersenkungen nicht profitieren. Außerdem könnte man den Arbeitnehmerextrabeitrag zur Krankenversicherung von 0,9 Prozent über Steuern zahlen. Mittelfristig wäre eine Steuerentlastung für alle wichtig. Ich bin dafür, den Freibetrag sofort auf 8000 Euro anzuheben und die kalte Progression abzuschaffen. Längerfristig wirken Infrastrukturinvestitionen: Straßenbau, der Ausbau der Glasfasernetze, Bildungsinvestitionen. Wir sind das Land in Europa, das die wenigsten Krippen, Kindergärten und Ganztagsschulen besitzt. Ganztagsschulen verhindern, dass der Geldbeutel über die Bildungschancen eines Kindes mitentscheidet. Aus diesem Gesamtpaket muss etwas gemacht werden, was den Menschen wieder klare Perspektiven aufzeigt.



Abendblatt:

In Deutschland sind die energieintensiven Branchen wie Chemie und Stahl besonders belastet vom Klimapaket der EU. Sind die Ausnahmen bei den Verschmutzungsrechten schon in der Praxis angekommen?

Schmoldt:

In der EU hat es ein Umdenken gegeben. Es darf nichts verabschiedet werden, was die europäischen Unternehmen einseitig benachteiligt und Arbeitsplätze gefährdet. Noch nicht vernünftig geregelt ist die Frage: Welche Bereiche werden ausgenommen von der Verpflichtung, Verschmutzungszertifikate zu kaufen? Das erst Ende 2009 zu regeln, ist zu spät. Das würde dazu führen, dass bis dahin niemand mehr investiert. Das betrifft auch den Neubau von Stein- und Braunkohlekraftwerken. Sie sollen alle Zertifikate ersteigern müssen. Das ist ein Fehler. Damit animiert man diejenigen, die ihre alten, nicht so effizienten Kraftwerke noch länger betreiben.


Man sollte mit der Energiewirtschaft einen Pakt abschließen: Wir kommen euch bei den Zertifikaten entgegen, dafür müsst ihre eure nicht so effizienten Kraftwerke abstellen und dafür neue effiziente bauen, bei denen man künftig CO2 abscheiden kann.


Abendblatt:

Energieintensiv ist auch eine deutsche Schlüsselindustrie: die Automobilbranche. Dürfen die Autobauer eine Sonderbehandlung genießen?

Schmoldt:

Ich bin für eine Verschrottungsprämie für alte Autos in Höhe von zwei- bis dreitausend Euro. Wenn die Automobilindustrie nicht wieder in Gang kommt, leiden auch andere Bereiche: der gesamte Maschinenbau, die chemische Industrie, Lacke, Kunststoffe, Reifen, Glas - das ist also keine Bevorzugung einer einzelnen Branche.



Abendblatt:

Eine Verschrottungsprämie à la Frankreich hat auch der Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagen.

Schmoldt:

Das ist positiv, wenn die Politik etwas lernt.



Abendblatt:

Wann gehen Sie in die Politik?

Schmoldt:

Ich habe mich immer mit meiner Arbeit als IG-BCE-Vorsitzender wohlgefühlt und dadurch auch die Möglichkeit gehabt, das eine oder andere politisch erfolgreich auf den Weg zu bringen.



Hubertus Schmoldt (63) ist der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und gilt als undogmatisch.