Dieter Althaus ist der Spitzenkandidat der thüringischen CDU bei Landtagswahlen am 30. August 2009. Bei der Landesvertreterversammlung in Waltershausen erhielt der amtierende Ministerpräsident 95 Prozent der Stimmen. Althaus selbst war bei der Wahl der Landesliste nicht anwesend. Via SMS dankte er seinen Parteifreunden für das Ergebnis. Bilder zum Fall Althaus.

Die ältere Dame in der Gothaer Straßenbahn schaut zweifelnd und sagt: "Ob er je wieder der Alte wird?" Das ist die Frage, die sich momentan viele, besonders aber die Menschen in Thüringen stellen. Dieter Althaus hatte sich in der vergangenen Woche erklärt, er sagte: "Ich trete an." Aber aufgetreten ist der Patient, der nach seinem schweren Ski-Unfall am Neujahrstag immer noch rekonvaleszent und zur Genesung in einer süddeutschen Klinik ist, immer noch nicht. Seit Sonnabend ist er offiziell der Spitzenkandidat der thüringischen CDU bei der Landtagswahl am 30. August.

Es gab nur ein Grußwort des amtierenden Ministerpräsidenten, der genau das bleiben will: Landesvater des Freistaates Thüringen. Dieter Althaus war unpässlich bei der Landesvertreterversammlung im kleinen Örtchen Waltershausen. Warum, das weiß das ganze Land, und dieses Land soll aber auch wissen: Die Thüringer Christdemokraten glauben an ihren Kandidaten, trotz seiner physisch-psychischen Notlage. 95 Prozent der Stimmen hat Althaus bekommen von den Delegierten, die über die Landeslisten von Landtags-, Bundestags- und Europawahl abstimmen sollten. Das ist, auch gemessen an manchen Unkenrufen, die den CDU-Politikern nicht verborgen geblieben sind, ein sehr gutes Ergebnis. Beim letzten Mal hat Althaus 100 Prozent bekommen. Aber jetzt ist er ein anderer als damals. Ein Politiker, der vorbestraft ist und die Verantwortung für den Tod einer 41-Jährigen einräumen musste. Ein Mensch, der nach einem Schädel-Hirn-Trauma immer noch nicht wieder ganz gesund ist. "Ich habe ihn erst kürzlich getroffen, sein Zustand und seine Geistesgegenwart sind beeindruckend. Dieter Althaus ist wieder da, er kehrt zurück, er wird seine schwere Erfahrung meistern, sie wird ihn weiter bringen." Es war der Ehrenvorsitzende der Thüringer CDU, Bernhard Vogel, der diese Worte an die Delegierten richtete. Es waren die richtigen Worte zur richtigen Zeit.

Denn Bange machen gilt nicht in dieser für die Partei schwierigen Zeit. Mit Vogels Beschwören der Gesundung Althaus’ und dem Versuch, die Zweifel an dessen Zustand zu zerstreuen, war das Motto der Veranstaltung vorgegeben: Es sollte Einigkeit demonstriert werden. Die Listen wurden zügig durchgewunken, und so war der emotionale Anfang auch gleichzeitig der Höhepunkt des Waltershauser Treffens. Nachdem Birgit Diezel, Finanzsenatorin und Althaus’ Stellvertreterin, ihre Parteifreunde auf den Wahlkampf eingeschworen hatte, verlas sie das Grußwort aus Allensbach. Dort ist Althaus seit zwei Monaten in Behandlung, über seinen Gesundheitszustand drang oft Besorgniserregendes nach Thüringen. Jetzt aber die Kampfansage des Ministerpräsidenten, vorgetragen von Diezel: "Noch vor der Sommerpause werde ich meine Geschäfte wieder aufnehmen können." Das, was am Neujahrstag geschehen sei, sei für ihn immer noch unfassbar, "die letzten Wochen waren die schwersten meines Lebens", hat Althaus seinen Parteifreunden geschrieben. Und weiter: "Ich weiß, dass das Überleben nach einem solchen Unfallgeschehen und eine vollständige Genesung nicht selbstverständlich sind. In den letzten Wochen bin ich mir der Begrenztheit menschlichen Handelns und Seins noch bewusster geworden. Wir können Pläne haben, wir können auf Sicherheiten setzen, aber ein solch schicksalhaftes Ereignis kann von einem auf den anderen Moment alles verändern."

Eine Aussage, die ein wenig in die Seele eines Phantoms blicken lässt, das seit Monaten von der Bildfläche verschwunden ist. Auch die Delegierten haben seit dem Unfall nichts von ihm gehört, jetzt klatschen sie lange und rhythmisch: "Ich bin bereit, dem Freistaat weiter zu dienen. Ich weiß, dass ich mich auf Euch verlassen kann und Ihr wisst, dass Ihr Euch auf mich verlassen könnt."

Es war ein seltsames Schauspiel in der Mehrzweckhalle dieses schmucklosen Freizeitzentrums, das sich die CDU als Tagungsort ausgesucht hatte. In der angrenzenden Eishalle drehten die trainierenden Eiskunstläuferinnen ihre Pirouetten, während drinnen eine lächelnde Finanzministerin Diezel stellvertretend die Ovationen für den außer Gefecht gesetzten passionierten Sportler Althaus entgegennahm. Den Blick richtete sie selbstbewusst in die Kameras und Fotoapparate. In ihrer Rede hatte sie Althaus sieben Mal erwähnt, das hätte man öfter erwartet. Sie sprach über die politischen Erfolge, griff den politischen Gegner an und erinnerte an das Ziel ihrer Partei: "Wir wollen mit Dieter Althaus an der Spitze auch nach dem 30. August politisch Verantwortung übernehmen."

95 Prozent der Stimmen bekam Althaus, in absoluten Zahlen: 123. Sieben Delegierte stimmten mit Nein, bei keiner Enthaltung. Drei Vertreter votierten nicht. Unmittelbar nach der Wahl meldete sich Althaus mit einer SMS zu Wort. "Die CDU Thüringen steht für klare Verhältnisse, das Ergebnis ist Ansporn und Verpflichtung zugleich", tippte Althaus. So war er dann doch mitten unter ihnen, wenn auch nur dank moderner Kommunikationsmittel. Es wurde ihm vergolten: mit einem trotzigen Jetzt-erst-recht. Keiner, der an diesem Tag offen Zweifel an seiner Kandidatur nach der ernsthaften Erkrankung und gegen etwaige moralische Einwände beim Wahlvolk äußerte. "Wir schaffen das mit ihm, er ist unser Kandidat", das hörte man oft.

So wurden die übrigen Nominierungen zum Pflichtprogramm. Birgit Diezel auf Listenplatz 2 sollte auf Geheiß des Versammlungsleiters die Länge der Vorstellungsrunden vorgeben. Sie brauchte für ihr Werben um Stimmen 45 Sekunden.