Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, sieht Versäumnisse des Inspekteurs des Sanitätswesens.

Hamburg. Ein fröhlicher Grillabend kann bei ihnen bereits einen "Flashback" auslösen - die Erinnerung etwa an verbrannte Opfer eines Bombenanschlags. Viele Soldaten der Bundeswehr, die von Auslandseinsätzen zurückkehren und dort belastende Erfahrungen gemacht haben, leiden unter Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Manche sind nach der Rückkehr unfähig, ihren Alltag zu bewältigen, leiden unter Zittern, Herzrasen und Panikanfällen.

Wie aus einer Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Abgeordneten Elke Hoff hervorgeht, hat sich die Zahl der behandelten Fälle seit 2006 vervierfacht. Von 55 PTBS-Fällen 2006 über 130 Fälle 2007 wurden 2008 schon 226 Fälle registriert. "Ich habe bereits in meinem ersten Bericht 2005 auf dieses Problem hingewiesen", sagte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Reinhold Robbe, zum Hamburger Abendblatt. "Und ich habe schnell festgestellt, dass dies für die Bundeswehr ein unterbelichtetes Feld ist und dass hier viel mehr getan werden muss als in der Vergangenheit. Daher hatte ich damals auch auf die zu dünne Personalausstattung der Bundeswehrkrankenhäuser im Bereich Wehrpsychiatrie und Psychotraumatologie hingewiesen. Dem Inspekteur des Sanitätswesens gegenüber habe ich schon damals deutlich gemacht, dass dieses Thema entstigmatisiert werden muss. Wir haben ja schon im Zivilbereich damit zu kämpfen, dass jemand, der zum Psychiater geht, schief angesehen wird", erläuterte Robbe. "Dies sind jedoch keine Dinge, die nur mit spitzen Fingern angefasst werden dürfen, die gehören zum Truppenalltag dazu. Dies hat man leider über Jahre ignoriert. Offensichtlich hat der Inspekteur des Sanitätswesens jetzt endlich erkannt, wie wichtig dieses Thema ist und dass es erheblichen Nachholbedarf gibt."

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen aus Itzehoe, Mitglied im Verteidigungsausschuss, sagte dem Abendblatt: "Es wird in der nächsten Sitzungswoche des Deutschen Bundestags einen gemeinsamen Antrag geben der SPD, der CDU, der FDP und der Grünen. Dabei geht es um die Frage des Umgangs mit Soldaten mit posttraumatischen Störungen." Reinhold Robbe wertet diesen in der Geschichte des Verteidigungsausschusses wohl einmaligen Vorgang als Zeichen dafür, dass dem Inspekteur des Sanitätswesens "die Richtung gewiesen werden soll".

Thießen sagte weiter: "Uns ist als Deutscher Bundestag wichtig, dass die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten in einem Kompetenzzentrum zusammengefasst werden. Ferner, dass es leichtere Zugänge gibt für Soldaten und ihre Angehörigen, also eine Ansprechstelle."

Thießen, der auch Vorsitzender des Deutsch-Afghanischen Freundeskreises ist, fügte hinzu: "Und wir legen Wert auf eine Studie zu der Frage, ob es Dunkelziffern gibt." Das klingt nach Defiziten in der bisherigen Behandlung des Themas. "Die Bundeswehr sagt Nein", meinte Thießen. "Es gibt Meinungsunterschiede zwischen dem Ministerium und uns im Parlament, was die Frage der Dunkelziffer anbelangt. Wir rechnen mit einer höheren Dunkelziffer als das Ministerium. Zum Bild des Soldaten gehört auch die Härte, der ganze Mann. "Wenn so einen Mann ein derartiges Ereignis trifft, dann reden viele nicht darüber. Und die wollen wir ermutigen, dies auch als behandelbare Störung zu erkennen. Wir sind der Auffassung, dass die Bundeswehr zwar gute Behandlungsmöglichkeiten hat, dass sie die aber leichter zugänglich machen muss."

Auch der Deutsche Bundeswehrverband (DBWV) fordert in einem 17-Punkte-Katalog vor allem ein PTBS-Kompetenz- und Forschungszentrum, ein dichteres Netz von Bundeswehrpsychologen, mehr stationäre Behandlungsmöglichkeiten in Bundeswehrkrankenhäusern und eine größere Anzahl sogenannter "Peers" - Soldaten, die in speziellen Lehrgängen für die Betreuung ihrer Kameraden ausgebildet wurden. "Leider gibt es die sehr große Grauzone von erkrankten Soldaten, die sich nicht zur Behandlung melden", sagte DBWV-Sprecher Wilfried Stolze dem Abendblatt. "Sie tun es aus falscher Scham, wollen nicht als weich gelten, nicht zugeben, dass sie Schlafstörungen haben und mit ihrem Alltag nicht mehr klarkommen." Das Hauptproblem sei, dass die Störung oft gar nicht oder zu spät erkannt werde. "Die Familien merken es dann, wenn der Mann bei der kleinsten Kleinigkeit ausrastet, zum Beispiel, wenn der Sohn neue Schuhe haben möchte."

Stolze, der selber in Afghanistan im Einsatz war, appelliert an die Soldaten, sich zu öffnen. "Wenn sie das nicht tun, könnten sie auf der Strecke bleiben."