Der Regierungschef von Baden-Württemberg verlangt von der Kanzlerin, das marktwirtschaftliche Profil der Partei zu schärfen.

Hamburg/Stuttgart. Hamburger Abendblatt:

Herr Ministerpräsident, hat sich Guido Westerwelle schon bei Ihnen gemeldet?

Günther Oettinger:

Nein.



Abendblatt:

Sie führen eine von fünf schwarz-gelben Landesregierungen, die der FDP-Vorsitzende als Machtinstrument nutzen will.

Oettinger:

Die FDP wird klug genug sein, im Bundesrat nicht zu blockieren.



Abendblatt:

Tatsache ist: Die Große Koalition hat bei der Hessen-Wahl ihre absolute Mehrheit in der Länderkammer verloren.

Oettinger:

Von den Liberalen werden 29 von 69 Stimmen als Juniorpartner mitverantwortet. Herrn Westerwelle müsste klar sein, dass sich die Länder im Bundesrat an Länderinteressen und nicht an parteipolitischen Interessen orientieren. Für die Monate bis zur Bundestagswahl sehe ich kein Thema, bei dem die Handlungsfähigkeit des Bundes gefährdet wäre.



Abendblatt:

Stimmt Baden-Württemberg dem zweiten Konjunkturpaket der Großen Koalition zu?

Oettinger:

Ich werbe dafür, dass wir zustimmen. Wirtschaftspolitik ist immer auch Psychologie. Je mehr Länder zustimmen, desto wirksamer wird das Konjunkturprogramm sein. Ein Land wie Baden-Württemberg ist von der Rezession besonders betroffen. Deswegen ist mir der Erfolg des Pakets auch besonders wichtig.



Abendblatt:

Die FDP stört sich vor allem an der Abwrackprämie. Sie gar nicht?

Oettinger:

Ich hätte die Abwrackprämie auch nicht gemacht, weil es an Zielgenauigkeit mangelt. Ich fürchte, der Mitnahmeeffekt ist sehr hoch.



Abendblatt:

Also weg damit?

Oettinger:

Nein, denn es gilt Vertrauensschutz. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die Abwrackprämie nicht mehr zurückgenommen wird. Sie fangen ja schon an, deswegen Autos zu kaufen. Wir sollten das Konjunkturpaket jetzt ohne Änderungen beschließen. Sonst entstehen neue Irritationen, die sich nachteilig auf die Wirtschaft auswirken. Nachbesserungen sind allerdings beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz notwendig ...



Abendblatt:

... dem Rettungsschirm für Banken. Welche?

Oettinger:

Die Fristen für die staatlichen Bürgschaften sind mit drei Jahren zu kurz. Außerdem sollten wir ernsthaft über die Schaffung einer Abwicklungsbank - einer Bad Bank - beraten. Dabei müsste die Haftung der Eigentümer, die die Produkte einbringen, beibehalten werden.



Abendblatt:

Wie wollen Sie eigentlich die Staatsverschuldung wieder in den Griff bekommen?

Oettinger:

Die Große Koalition hat sich unter meiner Mitwirkung für Selbstbindungen entschieden, unter anderem für die Tilgung der Neuschulden aus den Konjunkturprogrammen und für eine Schuldenbremse. Mir kommt es insbesondere darauf an, dass noch vor der Bundestagswahl eine Schuldenbremse beschlossen wird, die meinetwegen im Lauf des nächsten Jahrzehnts in Kraft tritt. Ich könnte damit leben, dass der Bund und die Länder den genauen Zeitpunkt, zu dem sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, selbst bestimmen.



Abendblatt:

Die Union wollte mit dem Versprechen eines niedrigeren, einfacheren und gerechteren Steuersystems in den Bundeswahlkampf ziehen. Ist für eine strukturelle Steuerreform noch Geld da?

Oettinger:

Für die Zeit nach der Wahl kann ich mir allenfalls eine aufkommensneutrale Steuerreform vorstellen. Wir könnten das Steuersystem vereinfachen, einige Ausnahmen und Sondervorschriften streichen.



Abendblatt:

Klingt nicht nach Wahlkampf-Schlager.

Oettinger:

Das Thema Steuersenkung wird Teil unseres Regierungsprogramms sein. Allerdings kommt es auf die Reihenfolge an: Zunächst muss die Rezession überwunden werden. Dann müssen wir die außerordentlichen Neuschulden tilgen und uns an die Haushaltskonsolidierung generell machen. Wenn wir diesen Weg beschritten haben, müssen wir mehr Steuermittel zur Deckelung der Lohnnebenkosten einsetzen, etwa bei der Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Erst dann können wir an Steuersenkung denken.



Abendblatt:

Also am Sanktnimmerleinstag.

Oettinger:

Es wird auch wieder Steuererleichterungen geben. Ich würde aber dringend dazu raten, kein Jahresdatum zu nennen. Eine Partei, die die Kanzlerin stellt und in elf Bundesländern regiert, muss gerade bei finanziellen Aussagen seriös bleiben.



Abendblatt:

Wie wollen Sie die Bundestagswahl gewinnen?

Oettinger:

Ich vermute, dass Deutschland im September immer noch tief in der Wirtschaftskrise steckt. Der Abschwung wird erst im späten Frühjahr sichtbar bei den Menschen ankommen. Im Augenblick haben wir Abbau von Überstunden, als Nächstes folgt Kurzarbeit, dann kommen Entlassungen. Die Bürger werden bei der Bundestagswahl zu entscheiden haben: Wem trauen sie die Überwindung der Krise am ehesten zu?



Abendblatt:

Welches Ziel setzt sich die Union? 35 Prozent plus x?

Oettinger:

Ein Ergebnis wie beim letzten Mal wäre zu wenig. Die Union muss die 40 Prozent packen, wenn sie mit der FDP eine stabile Regierung bilden will.



Abendblatt:

In Hessen kam die CDU über das schwache Ergebnis von 2008 kaum hinaus. Obwohl die SPD abgestürzt ist, holte sie gerade 37,2 Prozent. Lag das nur an Roland Koch?

Oettinger:

Das Wahlergebnis von CDU und FDP in Hessen war neben landespolitischen Themen und Personen in starkem Maße auch von der Bundespolitik geprägt. In einer Großen Koalition besteht immer die Gefahr, dass ordnungspolitische Grundsätze nicht mehr klar erkennbar sind. Die Wähler in Hessen wollten auch ein Zeichen nach Berlin senden, dass die Union ihr marktwirtschaftliches Profil schärfen muss.



Abendblatt:

Wie kann das gelingen?

Oettinger:

Wir müssen den Spagat hinbekommen, uns von der Großen Koalition abzugrenzen, ohne sie zu verunglimpfen. Wir müssen aufzeigen, dass sich die Programme von Union und FDP zentral unterscheiden von der Politik der Großen Koalition. Nur so haben wir eine Chance, besser abzuschneiden als 2005.



Abendblatt:

Die Schärfung des marktwirtschaftlichen Profils dürfte nicht leichtfallen, solange die Union an der Seite der Sozialdemokraten immer neue Mindestlöhne beschließt.

Oettinger:

Ich bin von den jüngsten Beschlüssen zur Ausweitung von Mindestlöhnen überhaupt nicht überzeugt. Baden-Württemberg wird im Bundesrat mit Sicherheit nicht zustimmen. Ich erwarte, dass die Union in der Großen Koalition keinerlei Entscheidungen mehr trifft, die in der Stammwählerschaft von CDU und CSU zu Irritationen führen. Also: keine weiteren Mindestlöhne und auch keinen Deutschlandfonds, der die Teilverstaatlichung von Unternehmen ermöglicht.



Abendblatt:

Was erwarten Sie von der Bundeskanzlerin persönlich?

Oettinger:

Angela Merkel wird sich bestimmt noch stärker der Innenpolitik zuwenden. Sie sollte das Thema Beschäftigung in den Mittelpunkt rücken. Und sie muss einerseits die Große Koalition zu Ende führen und andererseits programmatisch und politisch Union pur verkörpern. Das ist nicht leicht, aber ich traue es ihr zu.



Abendblatt:

Sind Sie für einen Lagerwahlkampf an der Seite der FDP?

Oettinger:

Der Wähler hat Klarheit verdient. Wir sollten deutlich machen: Wer CDU und CSU wählt, bekommt - wenn es reicht - eine Koalition mit der FDP.



Abendblatt:

Und wenn es nicht reicht? Große Koalition oder lieber Jamaika-Bündnis mit FDP und Grünen?

Oettinger:

Wir haben gute Chancen, dass es reicht. Eine Große Koalition sollte immer nur die letzte Option sein. Wenn es geht, sollte man kleinere Koalitionen vorziehen. Sie ermöglichen eine starke Opposition, und das tut der Demokratie gut.



Abendblatt:

Vor drei Jahren hätten Sie in die Geschichte eingehen können als erster Ministerpräsident, der Schwarz-Grün wagt. Nach längerem Zögern haben Sie sich dann doch für die herkömmliche Variante entschieden. Beneiden Sie manchmal den Hamburger Bürgermeister, Ihren Parteifreund Ole von Beust?

Oettinger:

Nein. Er muss schon harte Gefechte mit den Grünen aushalten, wenn ich an die Elbvertiefung oder den Streit um das Möbelhaus denke. Wenn Grüne regieren, haben sie oftmals Probleme, ihr Handeln ihrer Basis zu erklären.



Abendblatt:

Sie haben auch eine private Verbindung zu Hamburg. Ihre Lebensgefährtin Friederike Beyer ist Eventmanagerin in der Hansestadt. Wie oft sind Sie an der Elbe?

Oettinger:

Ich war schon früher oft in Hamburg. Die baden-württembergische Wirtschaft hat enge Verflechtungen mit dem Hafen. Das Stuttgarter Weindorf auf dem Rathausmarkt ist zu einer Institution geworden. Und ich mag den Schauspielhaus-Intendanten Friedrich Schirmer sehr gern, der früher in Stuttgart tätig war. Heute mache ich es so: Wenn ich Termine im Norden habe, in Hamburg, Bremen oder Kiel, übernachte ich bei Friederike und fliege erst am nächsten Morgen zurück nach Stuttgart.