Zehntausende Bürger besuchen die Internetseite für die Reform der Flensburger Verkehrssünder-Datei. Die Debatte im Internet ist Neuland.

Berlin. Der Nutzer mit dem Namen "tkronwitter" will endlich Gerechtigkeit im Straßenverkehr. Als das Bundesverkehrsministerium zum Internetchat über die Reform des Punktesystems für Verkehrssünder einlädt, hat "tkronwitter" eine Idee, wie man in Zukunft Vielfahrer wie ihn vor zu vielen Punkten in Flensburg bewahren sollte. Er fordert eine Punktegutschrift, wenn beruflich oder privat bedingte Vielfahrer auch mal einige Monate oder Jahre regelkonform fahren. Man könne doch wie bei Kfz-Versicherungsbeiträgen unfallfreie Jahre belohnen.

Der Experte im Chat, ein Potsdamer Professor, ist skeptisch: Er sei zwar der Meinung, dass die Anreize für regelkonformes Fahren erhöht werden sollten. "Dies muss nicht über Punkterabatte geschehen." Er bringt als Idee ein, ob nicht alle Verkehrsteilnehmer von Zeit zu Zeit über neue Verkehrsregelungen, das Unfallgeschehen und neue Verkehrsrisiken informiert werden könnten. Nutzer "tkronwitter" antwortet nicht mehr. Ob sein "Punkterabatt" am Ende in ein neues Gesetz gegossen wird, bleibt fraglich.

Es ist politisches Neuland, das die Bundesregierung seit dem 1. Mai mit der Online-Debatte betritt: Die Bürger sollen mitreden bei einem neuen Gesetz, das Millionen von Autofahrern betrifft: die Neuregelung des Punktesystems und des Verkehrszentralregisters. Die hierfür organisierte Internet-Debatte haben bereits 20 000 Besucher verfolgt, wie das Bundesverkehrsministerium dem Abendblatt mitteilte. 1500 Beiträge seien freigeschaltet worden, 1800 Nutzer hätten sich registriert. Seit dem Start von www.punktereform.de habe es mehr als 150 000 Seitenansichten und mehr als 3800 Downloads gegeben. Die durchschnittliche Verweildauer der Nutzer habe 7:31 Minuten betragen. Das Forum wird an diesem Dienstag um 22.30 Uhr geschlossen. Vorher soll noch einmal mit einem Experten gechattet werden: Beim Thema "Mehr Verkehrssicherheit mit dem neuen Fahreignungsbewertungssystem" dürfen noch einmal die Autofahrer ihre Meinung und Vorschläge vortragen.

Das neue Regelgerüst sieht eine Vereinfachung vor: Der Führerschein muss demnach bald schon bei acht Punkten in Flensburg abgegeben werden - bisher bei 18 Punkten. Bei Straftaten wie Trunkenheit am Steuer bleibt es beim sofortigen Einzug der Fahrerlaubnis. "Grobe" Verkehrsverstöße wie etwa zu schnelles Fahren sollten künftig generell nur noch mit einem Punkt bestraft werden statt wie bislang mit bis zu drei Punkten. "Schwere" Delikte wie das Fahren über eine rote Ampel sollen mit zwei Punkten geahndet werden statt drei bis sieben. Zudem sollen die Einträge künftig einzeln verjähren: Ein-Punkt-Delikte nach zwei und Zwei-Punkte-Delikte nach drei Jahren.

So weit, so einfach. Manche in den Chats fragen sich aber, wie alte Punkte ins neue System übertragen werden. Andere beschweren sich, dass Alkohol am Steuer deutlich härter bestraft werde, als mit zu hoher Geschwindigkeit geblitzt zu werden. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ist zufrieden über den Verlauf des Projekts. Die Bürgerbeteiligung zur Neuregelung des Punktesystems laufe auf vollen Touren, sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Ich freue mich, dass die Bürger so zahlreich und fachlich fundiert von der Möglichkeit Gebrauch machen, bei einem solch wichtigen Vorhaben mitzureden", sagte Ramsauer weiter. Der Minister hob die Bedeutung der Bürgerbeteiligung bei der Reform hervor. Von den geplanten Neuregelungen des Punktesystems seien 53 Millionen Führerscheinbesitzer in Deutschland betroffen, sagte er. "Deswegen ist es für uns besonders wichtig, die Eckpunkte mit den Bürgerinnen und Bürgern noch im Vorfeld des Gesetzgebungsprozesses intensiv zu diskutieren."

Ramsauer versuche sich als "Pirat", hieß es, als er die internetbasierte Diskussion zur Punktereform vorstellte. Der Erfolg der Piratenpartei, die über das Internet nach innen und außen auf politische Transparenz setzt, werde erstmals von einem Minister kopiert, lautete der Verdacht. Andere Häuser haben Ramsauers Bürgerbeteiligung noch nicht zum Anlass genommen, eigene Reformen und Gesetzesvorhaben online zur Diskussion zu stellen. Man wartet lieber ab, ob tatsächlich einige der Bürgerideen umgesetzt werden. Das Verkehrsministerium will ab Mittwoch die Vorschläge auswerten und prüfen. Danach werde entschieden, welche der Anregungen tatsächlich aufgenommen werden können, so das Ministerium. Da man sich noch in der Phase vor Erstellung des ersten Gesetzentwurfs befinde, könnten Anregungen "besonders gut noch einfließen". Das Gesetz soll 2013 in Kraft treten.