Der ehemaliger KZ-Wachmann Demjanjuk wohnt jetzt in einem Altenheim in München. Zu seiner Familie kann er nicht: Die USA haben ihm die Staatsbürgerschaft aberkannt.

München. Der aus der Ukraine stammende ehemalige KZ-Wachmann John Demjanjuk ist zu fünf Jahren Haft verurteilt - und trotzdem am Freitagnachmittag aus dem Münchner Gefängnis Stadelheim entlassen worden. Die Vollzugsanstalt habe einen Platz in einem Alten- oder Pflegeheim für den 91 Jahre alten Mann gefunden, sagte Anstaltsleiter Michael Stumpf.

Wo das Alters- oder Pflegeheim ist, in dem Demjanjuk jetzt lebt, solle geheimbleiben. „Demjanjuk hat gesagt, er braucht erst einmal Ruhe und möchte zunächst keinen Kontakt zu Presse“, sagte Stumpf. Demjanjuks Familie lebt im US-Bundesstaat Ohio. Dorthin zurück kann Demjanjuk nicht: Ihm wurde die US-Staatsbürgerschaft aberkannt, seither ist er staatenlos.

Das Landgericht München II hat den 91-Jährigen am Donnerstag wegen Beihilfe zum Massenmord an Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibór verurteilt. Da das Urteil aber noch nicht rechtskräftig ist, ordnete der Vorsitzende Richter angesichts des Alters des Angeklagten und der Tatsache, dass keine Fluchtgefahr bestehe, dessen zumindest vorübergehende Freilassung an. Während Demjanjuk den Schuldspruch ohne sichtbare Regung verfolgte, konnten viele Nebenkläger ihre Tränen nicht zurückhalten.

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Demjanjuk als "fremdvölkischer Hilfswilliger" vom 27. März bis Mitte September 1943 Wachmann in Sobibór gewesen und damit Beihilfe zum Mord an mindestens 28 060 Menschen geleistet hat. Demjanjuk nahm das Urteil in seinem Rollstuhl sitzend entgegen. Die Urteilsbegründung hörte er, wie üblich, in einem Bett liegend an. Seine Augen hatte er wie stets hinter einer Sonnenbrille verborgen.

Alle der Trawniki genannten Hilfswachmänner seien am routinemäßigen Vernichtungsprozess in Sobibór beteiligt gewesen. Sie hätten eine wesentliche Rolle gespielt, sagte der Vorsitzende Richter Ralph Alt. "Der Angeklagte war Teil der Vernichtungsmaschinerie." Egal, wo ein Trawniki gerade Dienst getan habe: "Allen Trawniki-Männern war klar, was geschah."

Die Wachmänner hätten die im Vernichtungslager ankommenden Juden in die Gaskammern getrieben und dafür gesorgt, dass die Juden taten, was ihnen die SS-Leute befohlen hätten. Ohne die "Hilfswilligen" wäre die Judenvernichtung nicht durchführbar gewesen, sagte Alt. So seien in Sobibór auf etwa 20 SS- und Polizeikräfte rund 150 Trawniki gekommen. "Trawniki-Leute waren in allen Phasen der Ermordung der Juden beteiligt."

Alt betonte, das Gericht habe sich vom Gesetz und nicht von moralischen oder politischen Überlegungen leiten lassen. Der Prozess zog sich seit 2009 hin. Das Urteil fiel am 93. Verhandlungstag. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre gefordert, einzelne Nebenkläger die Höchststrafe von 15 Jahren. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Verteidiger Busch kritisierte das Urteil als "juristisches Wunschdenken", es gebe keinerlei Beweise. Er legte umgehend Revision ein. Bis diese entschieden ist, könne es noch ein Jahr oder länger dauern, hieß es aus Justizkreisen. Gerichtssprecherin Margarete Nötzel sagte nach dem Urteil, auch wenn dieses rechtskräftig werde, müsse geprüft werden, ob Demjanjuk haftfähig sei. Niemand wisse, was dann sei. Bis dahin ist Demjanjuk auf jeden Fall auf freiem Fuß.

Die Staatsanwaltschaft hält sich vorerst weiter offen, ob sie Revision einlegen wird oder nicht. „Dazu können wir frühestens am Montag etwas sagen“, sagte Sprecherin Barbara Stockinger.