„Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss auch nach 60 Jahren bestraft werden“, sagte Ankläger Hans-Joachim Lutz.

München. Die Münchner Staatsanwaltschaft hat für den mutmaßlichen KZ-Wachmann John Demjanjuk sechs Jahre Haft wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord an Juden verlangt. Der heute 90-Jährige sei von März bis September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von mindestens 27.900 Menschen beteiligt gewesen, sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz vor dem Landgericht München II. „Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach 60 Jahren und in so hohem Alter.“

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher ist am 84. Verhandlungstag mit den Plädoyers in seine entscheidende Phase gegangen. Staatsanwalt Lutz sagte, es gebe keine Zweifel, dass Demjanjuk im KZ tätig gewesen sei, sagte Lutz. Zeugenaussagen und historische Dokumente könnten dies belegen. „Er nahm damit bereitwillig an der Ermordung von mindestens 27.900 Personen teil“, sagte Lutz. Demjanjuk habe für seine treue Befehlsausführung laut Zeugenaussagen sogar oft frei bekommen. Demjanjuk könne sich auch nicht auf einen Befehlsnotstand berufen, da er verschiedene Möglichkeiten zur Flucht gehabt habe. Das Risiko dabei wäre nach Ansicht des Staatsanwalts nicht höher gewesen, als bei einem Verbleib im Lager, der ebenfalls nicht ungefährlich gewesen sei. Zudem seien andere Wachmänner erfolgreich geflohen.

Zwar könne man Demjanjuk keine Einzeltaten nachweisen, sagte Lutz. Es stehe aber außer Zweifel, dass er beteiligt gewesen sei. Wenn die Transporte mit bis zu 3000 Menschen in Sobibor angekommen seien, hätte die gesamte Belegschaft des Lagers mitarbeiten müssen. „Die Vernichtungsmaschinerie konnte nur funktionieren, wenn alle ihren Beitrag leisteten“, sagte der Staatsanwalt. Dabei hätten Demjanjuk und die anderen Wachmänner „in gefühlloser und unbarmherziger“ Weise gehandelt.

Insgesamt stimmten die vorliegenden Urkunden und Zeugenaussagen so eindeutig überein, dass kein Raum für „Verschwörungstheorien“ bleibe, sagte Lutz. Dass der russische Geheimdienst all dies gefälscht habe, sei nicht denkbar, griff er einer möglichen Argumentation der Verteidigung voraus. Pro Tag darf wegen Demjanjuks Gesundheitszustand nicht mehr als drei Stunden in zwei Hälften zu 90 Minuten verhandelt werden.

Auch wegen dieser Einschränkung zieht sich der Prozess bereits seit 2009 hin. Zudem gab es eine Flut von Anträgen der Verteidigung. Auch am Dienstag stellte Anwalt Ulrich Busch schriftlich weitere Anträge. „Sie brauchen nicht erschrecken, die Antragszahl liegt im einstelligen Bereich“, kommentierte er selbst, nachdem er zuletzt rund 400 Anträge gestellt und tagelang verlesen hatte. Das Plädoyer begann dennoch, die Anträge würden zur gegebenen Zeit eingeführt, sagte der Vorsitzende Richter. Das Urteil könnte der aktuellen Planung zufolge am 12. Mai fallen.

Bereits vor dem Prozess in Deutschland hatte es ein jahrelanges juristisches Tauziehen um die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers aus den USA gegeben, in die er nach dem Krieg ausgewandert war. Am 12. Mail 2009 war Demjanjuk dann in München angekommen und in die Justizvollzugsanstalt Stadelheim gebracht worden.