Die Alltagssorgen der Menschen beachten und Steuersenkungen nicht aufgeben - der neue FDP-Chef Philipp Rösler kündigt neue Ära an.

Rostock. Jetzt soll alles anders werden. Philipp Rösler, der neue FDP-Vorsitzende, will seine Partei wieder zum Reformmotor in der schwarz-gelben Koalition machen. In seiner ersten Rede als Parteichef kündigte er eine breitere politische Aufstellung seiner Partei an, die bislang oft nur als Steuersenkungspartei wahrgenommen wurde. Ziel seiner Parteiführung sei es, auch wieder stärker die Alltagssorgen der Menschen berücksichtigen, sagte der Nachfolger von Guido Westerwelle am Sonnabend auf dem Bundesparteitag in Rostock.

Rösler räumte Fehler der FDP ein

Die rund 660 Delegierten nahmen seine frei gehaltene, gut einstündige Rede voller Begeisterung mit knapp neun Minuten Beifall auf. Rösler räumte Fehler der FDP ein und zeigte Verständnis für den verbreiteten Unmut über seine Partei. „Die Menschen wollen von uns vor allem Ergebnisse, liberale Ergebnisse. Liebe Wählerinnen und Wähler: Ab heute wird die FDP liefern“, versprach der neue Wirtschaftsminister und künftige Vizekanzler. Rösler war am Vorabend mit 95 Prozent der Stimmen zum Nachfolger von Außenminister Westerwelle an der Spitze der Partei gewählt worden.

Die FDP müsse sich inhaltlich breiter aufstellen und sich wieder mehr an den „Alltagssorgen der ganz normalen Menschen in Deutschland“ ausrichten, verlangte er. Als Beispiele nannte er die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die häusliche Pflege. Rösler spickte seine Rede mit vielen praktischen Beispielen auch aus dem eigenen Leben als Vater von Zwillingen und als gebürtiger Vietnamese.

Rösler zog positive Zwischenbilanz

Insgesamt zog er aber eine positive Zwischenbilanz der schwarz-gelben Regierungsarbeit in Berlin. „Den Menschen in Deutschland geht es heute besser als zu Zeiten der großen Koalition“, rief der künftige Vizekanzler. Zur Begründung verwies er besonders auf die gute Wirtschaftsentwicklung und den Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Die FDP sei in Deutschland die „Partei der Mitte“, sagte Rösler. Sie werde niemals eine zweite grüne Partei oder eine fünfte sozialdemokratische Partei werden. Zugleich rief er die Politiker seiner Partei mit einem Appell an die „bürgerlichen Umgangsformen“ zu mehr Fairness untereinander und gegenüber dem Koalitionspartner CDU/CSU auf.

Die Haushaltskonsolidierung hat für Rösler absoluten Vorrang. Den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte er aber auf, nicht nur der FDP, sondern auch den Vertretern der Union zu sagen, dass es keine Spielräume für zusätzliche Ausgaben gebe. Gleichwohl sieht Rösler wegen der derzeit guten Konjunktur die Spielräume für Steuersenkungen größer werden. Die Entlastung der Steuerzahler sei ein „gemeinsames Versprechen“ der schwarz-gelben Koalition. „Wir sind dazu bereit. Wir warten jetzt nur auf unseren Koalitionspartner.“

Rösler bekannte sich zum Atomausstieg, warnte aber vor einem „Überbietungswettbewerb des Ausstiegs“. Ein anzustrebendes Enddatum für die Schließung des letzten Kernkraftwerks nannte er nicht. Die Abkehr von der Kernenergie müsse umweltverträglich sein. Die Sicherheit der Energieversorgung müsse garantiert sein, Energie müsse bezahlbar bleiben. „Bei der Kernenergiefrage sind wir als Freie Demokraten die Stimme der Vernunft“, rief Rösler unter dem Beifall der Delegierten.

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Neuer Parteichef Rösler verspricht: "Jetzt geht's los"

Philipp Rösler muss ein paarmal tief durchatmen, bevor er sich richtig freuen kann. Nach einer langen Woche voller Verhandlungen, Abstimmungen und einem Wechsel im Ministeramt ist er am Freitagabend an seinem Ziel angekommen. 95,1 Prozent der 662 Delegierten haben den neuen Wirtschaftsminister beim Parteitag in Rostock zum neuen Chef der FDP gewählt.

Der 38-Jährige steht im Blitzlichtgewitter und winkt - und setzt sich dann auf jenen Stuhl auf dem Podium, auf dem kurz zuvor noch sein Vorgänger Guido Westerwelle gesessen hat. Rösler ist der 13. Chef der Partei - und der jüngste in der Geschichte der Liberalen. 22 Delegierte stimmen gegen ihn, zehn enthalten sich der Abstimmung.

Die Ära Westerwelle ist damit zu Ende. "Jetzt geht's los", ruft Rösler nach seiner Wahl. Für ihn ist es gut gelaufen bei diesem Parteitag des Aufbruchs - doch nicht ganz so reibungslos läuft es für sein Team. Am Tag zuvor hatte er offiziell präsentiert, wer die drei Posten als Vizevorsitzende übernehmen soll. Erste Stellvertreterin wurde - wie gewünscht - die erst am Dienstag abgewählte und lange umstrittene Fraktionschefin Birgit Homburger. Aber nicht alle Parteimitglieder sind damit zufrieden. Schon bei ihrer Bewerbungsrede gibt es kritische Zwischenfragen. Ein junger Delegierter wünscht sich, dass Homburger ihre Erfolge als Fraktionschefin konkretisiert. Ein anderer will wissen, welche Aufgaben sie im Falle einer Wahl angehen will. Am Ende gibt es nur 66,1 Prozent der Stimmen für Homburger. 429 Delegierte votieren für sie, 174 stimmen mit Nein, 46 enthalten sich. Es ist ein deutlich schlechteres Ergebnis als 2009, als sie mit 77,4 Prozent in das FDP-Präsidium gewählt wurde.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird mit 85,1 Prozent ins Amt gewählt, ebenso Holger Zastrow, der Chef der Sachsen-FDP, mit 89,4 Prozent.

Das neue Führungsteam ist komplett, der Kurs des neuen Parteichefs von der Basis bestätigt. Nicht nur bei Röslers Wahl, sondern schon bei seiner kurzen Bewerbungsrede gibt es anhaltenden Applaus. Dabei sind dessen letzte Worte schlicht: "Mein Name ist Philipp Rösler, und ich bitte um Ihre Stimme und Ihr Vertrauen." Alles in allem ist es ein harmonisches Stühlerücken bei diesem Parteitag.

Auch für Guido Westerwelle ist die große Abrechnung ausgeblieben. Länger als eine Stunde dauert seine letzte Rede als Parteichef, in der er Bilanz zieht über seine Zeit an der Spitze der FDP, die er erst sieben Jahre als Generalsekretär führte und dann zehn Jahre als Vorsitzender. "Wer so lange eine Partei führt", sagt Westerwelle, "der macht auch Fehler, niemand weiß das besser als ich."

Scharfe Kritik musste er einstecken in den letzten Wochen und Monaten. Für katastrophale Umfragewerte, für ein desaströses Abschneiden bei den Landtagswahlen Ende März. Westerwelle bittet um Entschuldigung. Doch zu Kreuze kriecht er nicht. "Gestatten Sie mir", ruft er, "dass ich mit Selbstbewusstsein sage, die letzten zehn Jahre waren durchaus positiv in der Bilanz. Ich werfe mir lediglich vor, dass wir zu wenig von dem, was wir uns vorgenommen haben, durchgesetzt haben."

Westerwelle dankt, erst den Generalsekretären, mit denen er zusammengearbeitet hat, dann den Fraktionschefs. Er schimpft auf SPD, Grüne und Linke, wird lauter, seine Gesten ausladender. Oppositionskritik, das kann er gut. Und er erneuert ein Versprechen, das er bereits vergangene Woche gegeben hat: "Ich werde meinem Nachfolger nicht ins Lenkrad greifen." Soll heißen: Einmischen in Fragen der Parteiführung will er sich nicht.

Anders als erwartet gibt es bei der großen Aussprache nur wenig Kritik. Eine Generaldebatte war erwartet worden, zumal erst kurz zuvor erneut die Forderung aufgeflammt war, Westerwelle müsse auch seinen Ministerposten im Außenamt räumen. Doch selbst die Unzufriedenen unter den Delegierten halten sich am Freitag zurück. Fast jeder dankt Westerwelle, spart nicht mit Lob und warmen Abschiedsworten.

Sogar Schleswig-Holsteins Fraktionschef Wolfgang Kubicki, eine der treibenden Kräfte bei der Demontage des Parteichefs, schlägt versöhnliche Töne an. "Die FDP hat ein Markenproblem. Und das heißt nicht Guido Westerwelle, das heißt mangelnde Durchsetzungsfähigkeit", sagt er und plädiert für Westerwelles Verbleib im Ministeramt. "Wir wollen mit Westerwelle noch Wahlen gewinnen, und wir werden mit ihm Wahlen gewinnen." Auch die Fraktionschefin in der Hamburgischen Bürgerschaft, Katja Suding, lobt den scheidenden Parteichef: Sie denke gern an die Auftritte mit Westerwelle im vergangenen Wahlkampf in der Hansestadt zurück, "das hat uns viel Rückenwind gegeben".

Am Ende von Westerwelles Rede stimmen trotz der versöhnlichen Worte nicht alle Delegierten in den minutenlangen Applaus ein. Auf Querelen aber verzichten die Liberalen bei ihrem Neuaufbruch: Philipp Rösler soll nicht schon am Anfang belastet werden.

(Mit Material von dpa)