Heute werden Philipp Rösler und Daniel Bahr als Minister vereidigt. Es gibt viel zu tun – auch für den Fraktionschef Rainer Brüderle.

Berlin. Für die Kanzlerin ist es ein Déjà-vu-Erlebnis. Zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode wird Angela Merkel heute bei Bundespräsident Christian Wulff im Schloss Bellevue ihr Kabinett umbilden. Erst war es der Abgang von Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung (CDU), der nur kurz nach den Wahlen 2009 eine Personalrochade nötig machte. Anfang März 2011 trat Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) von seinem Amt als Verteidigungsminister zurück. Nach dem Umbau der FDP-Führungsspitze wird dann heute Philipp Rösler in seinem neuen Amt als Bundeswirtschaftsminister vereidigt, Daniel Bahr bekommt seine Ernennungsurkunde zum Gesundheitsminister. Und der bisherige Inhaber des Wirtschaftsressorts, Rainer Brüderle, wird entlassen.

Wieder müssen angefangene Projekte in die Hände des Nachfolgers übergeben und ganz pragmatisch Umzugskisten gepackt werden. Weit hat es der designierte FDP-Chef Philipp Rösler, 38, dabei nicht: Zentral in Berlin-Mitte gelegen sind es nur wenige Hundert Meter Entfernung zwischen dem Gesundheits- und dem Wirtschaftsministerium. Inhaltlich ist der Sprung jedoch deutlich größer.

Warum auch das Wirtschaftsressort eine Herausforderung für Rösler ist:

Positiv ist für Rösler, dass er dem unpopulären Gesundheitsressort den Rücken kehren kann. In Zeiten anhaltenden Aufschwungs ist das Wirtschaftsressort ein dankbarer Ort, wenn es darum geht, sich als junger Parteichef seine Lorbeeren zu verdienen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Als neuer Wirtschaftsminister kommt Rösler ein wesentlicher Anteil bei der Energiewende zu. Vor allem der dringend benötigte Netzausbau obliegt jetzt seiner Verantwortung - rund 3600 Kilometer Stromtrassen fehlen. Zwar hat Brüderle bereits Eckpunkte vorgelegt, doch Rösler muss sie umsetzen. Dazu gehört, die Zuständigkeiten der Länder im Bund zu bündeln und vor allem ein Verfahren zu schaffen, das flexibel und kompromissfähig ist, um Bürgerblockaden vor Ort zu vermeiden. Und bezahlbar muss ja auch noch alles bleiben. Rösler will trotzdem "mit Herzblut" an die Sache herangehen - so wie damals 2009, als er einmal für acht Monate Wirtschaftsminister in Niedersachsen war, bevor er in das Berliner Bundeskabinett berufen wurde. Mit dem Wechsel in das Wirtschaftsressort erfüllt er sich einen Traum. "Wie heißt es so schön: Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne die Wirtschaft ist alles nichts", sagte er der "Rheinischen Post". Wichtig wird für ihn jetzt auch noch sein, die für die FDP so wichtige Klientel der mittelständischen Unternehmer nicht zu vergraulen. "Mr. Mittelstand" - der Spitzname Brüderles zeigt, wie groß die Fußstapfen sind. Auch Rösler ist das bewusst: "Ich werde die Politik von Rainer Brüderle fortsetzen", kündigte er an.

Warum es für die Union mit Brüderle als Fraktionschef unangenehm wird:

Dem 65-jährigen FDP-Urgestein Brüderle fällt der Abschied aus seinem Ministerbüro nicht ganz leicht. Als Chef der 93-köpfigen Bundestagsfraktion muss er jetzt dafür sorgen, dass Mehrheiten zustande kommen - und sieht sich auch durchaus in der Lage dazu. Gestern machte er klar, noch nicht zum alten Eisen gehören zu wollen - trotz seines fortgeschrittenen Alters. "Es darf in Deutschland nie wieder Rassismus geben, auch keinen Altersrassismus", witzelte er. Seine Ausgangslage ist gut: Fast 40 Jahre ist er Parteimitglied und bestens vernetzt. Auch das für die Parlamentsarbeit wichtige Reden beherrscht er. Zwar ist er mit seinem Pfälzer Dialekt von einer gestochen scharfen Aussprache weit entfernt, kann dafür aber launig bis mitreißend sein. Das Verhältnis zu Unions-Fraktionschef Volker Kauder ist durch eine Duz-Freundschaft entspannt, trotzdem wird die Zusammenarbeit im Parlament nicht immer einfach sein. Mehr als Amtsvorgängerin Birgit Homburger ist Brüderle Dickkopf genug, auch eigene Wege zu gehen. Mit seinem Nein zu staatlichen Finanzhilfen für den Autobauer Opel suchte er 2009 sogar den Konflikt mit der Kanzlerin. Derzeit hakt es in der Koalition vor allem bei der Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze und einem Gesetz für die Vorratsdatenspeicherung - hier sträubt sich die FDP. Brüderle könnte das nutzen, um der Fraktion wieder mehr Profil zu verschaffen.

Warum Bahr als Gesundheitsminister keinen Tag Schonfrist erhält:

Zum ersten Mal bekleidet Daniel Bahr von heute an ein Ministeramt - und dann gleich im schwierigen Gesundheitsressort. Immerhin ist er hier seit 2009 parlamentarischer Staatssekretär und ein enger Vertrauter Röslers. Er kennt den Betrieb und seine Tücken und wird deshalb auch nicht lange benötigen, um sich in die laufenden Projekte einzuarbeiten. Wichtig ist hier die geplante Pflegereform, die schon im Sommer stehen soll.

Schon vor seiner offiziellen Ernennung prasselten erste Forderungen auf den 34-Jährigen ein. Es sei ein symbolträchtiger Zufall, dass Bahr sein neues Amt am Donnerstag, dem "Internationalen Tag der Pflege", antrete, ließ die Präsidentin des größten deutschen Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, gestern ausrichten und schickte gleich ein paar Vorschläge zur Finanzierung der Reform mit. Doch Bahr ist lange genug dabei, um zu wissen, dass es sein Ministerium mit Vereinen, Lobbyverbänden oder Krankenkassen aufnehmen muss. Neuer Streit mit der CSU ist dann programmiert, wenn sich Bahr wie Rösler zuvor an der Gesundheitsprämie versuchen sollte. Schon im Sommer 2010 wurde er auffällig, als er im Streit um die Kopfpauschale die Christsozialen "Wildsau" nannte. Gerade auf dem Feld der Gesundheitspolitik ist es nicht unwahrscheinlich, dass die kleinen Koalitionspartner erneut aneinandergeraten. Das wäre dann ein weiteres Déjà-vu für die Kanzlerin.