Martin Schulz: “Ein mögliches Flüchtlingsproblem in Nordafrika lässt sich mit Sicherheit nicht an der deutsch-dänischen Grenze lösen.“ Bundesregierung gelassen.

Kopenhagen. Die Ankündigung Dänemarks, an den Grenzübergängen zu Deutschland wieder Kontrollen einführen zu wollen, haben auf deutscher Seite unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.

Während Europapolitiker Martin Schulz (SPD) den Dänen Populismus vorwirft, sieht die Bundesregierung der Wiedereinführung von Grenzkontrollen relativ gelassen entgegen. Aus Berliner Regierungskreisen hieß es am Mittwoch, allen Anzeichen nach stelle Dänemark das Abkommen über den grenzfreien Schengen-Raum nicht generell infrage.

Die Dänen planten nicht, Grenzkontrollen grundsätzlich wieder einzuführen, sondern den Zoll stärker an der deutsch-dänischen Grenze aktiv werden zu lassen. Offensichtlich geschehe dies aus innen -und parteipolitischen Gründe in Dänemark, hieß es in Berlin.

Nach zehn Jahren führt Dänemark wieder "permanente Grenzkontrollen“ an der Grenze mit Deutschland ein. Künftig sollen Zöllner sowohl Einreisende als auch Ausreisende kontrollieren.

Die Rechtspopulisten der DVP hatten in Kopenhagen eine Parlamentsmehrheit hinter ihre Forderung gebracht, um unerwünschte "Kriminelle“ und Flüchtlinge fernhalten zu können. Dänemark bleibt aber weiter Teil des Schengen-Raums, der eigentlich den freien Grenzübertritt zwischen beteiligten EU- und einigen anderen Ländern garantieren soll.

Wegen ihres Vorhabens hat SPD-Politiker Schulz die dänische Regierung scharf kritisiert. Der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament sagte dem Berliner "Tagesspiegel“ (Donnerstagausgabe), dieser Schritt sei reiner Populismus und Scheinpolitik: "Ein mögliches Flüchtlingsproblem in Nordafrika lässt sich mit Sicherheit nicht an der deutsch-dänischen Grenze lösen.“

Mit Blick auf die Pendler, die regelmäßig die deutsch-dänische Grenze überqueren, meinte Schulz, durch die Wiedereinführung der Kontrollen werde "der praktische europäische Berufsalltag in ein Chaos gestürzt“.

Der FDP-Innenexperte im Europaparlament, Alexander Alvaro, sagte der Zeitung, mit der Wiedereinführung der Kontrollen stelle sich die Frage, ob Dänemark überhaupt noch Mitglied im Schengen-Raum bleiben könne. "Wenn sich Dänemarks Regierung von den Rechtspopulisten so unter Druck setzen lässt, dass sie die Axt an eine der europäischen Grundfreiheiten legt, dann stellt sich auch die Gretchenfrage der Mitgliedschaft Kopenhagens im Schengen-Raum“, sagte Alvaro.

Hintergrund: Das Schengen-Abkommen

Das luxemburgische Moseldorf Schengen ist zum Synonym für ein Europa ohne Grenzkontrollen geworden. In Schengen unterzeichneten 1985 Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten ein Abkommen, das die Schlagbäume zwischen den Ländern abschaffte. Gleichzeitig verpflichteten sich die Länder, ihre Außengrenzen besser zu schützen. Heute umfasst die Schengen-Zone 25 Staaten: 22 der 27 EU-Länder (ausgenommen Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien und Rumänien) sowie Norwegen, Island und die Schweiz.

An den Grenzen zwischen Schengen-Staaten werden Reisende nur noch in Stichproben oder bei besonderen Ereignissen, zum Beispiel vor großen Sportveranstaltungen, kontrolliert. Wer dabei mit korrekten Papieren unterwegs ist, wird durchgelassen.

Nicht nur EU-Bürger genießen seit Schengen eine nie gekannte Reisefreiheit. Auch Menschen aus Drittstaaten mit einem gültigen Schengenvisum profitieren vom Abkommen. Läuft das Visum ab, muss der Inhaber aus der Schengenzone ausreisen. Bei besonderen Anlässen kann das Schengen-Abkommen außer Kraft gesetzt werden: So wurde 2006 vielen ausländischen Hooligans die Anreise zur Fußball-WM verwehrt.

Die Schengen-Staaten gehen gemeinsam gegen illegale Einwanderung vor und stellen einheitliche Visa für Besucher aus Drittstaaten aus. Im Kampf gegen die internationale Kriminalität nutzen die Länder ein gemeinsames elektronisches Fahndungssystem. Im Schengen-Raum wohnen heute mehr als 400 Millionen Menschen. Die Landgrenzen sind insgesamt mehr als 7700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42 700 Kilometer.

(dpa/dapd/abendblatt.de)