SPD und CDU planen in “sachlicher Atmosphäre“ in Nordrhein-Westfalen eine Große Koalition - wer sie führen soll, bleibt ausgeklammert.

Berlin. Von einer Regierungsbildung noch weit entfernt, aber auf der Sachebene angekommen: So lässt sich das erste Sondierungsgespräch bilanzieren, zu dem CDU und SPD gestern Mittag in einem Luxushotel am Düsseldorfer Flughafen zusammengekommen waren.

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft sagten danach übereinstimmend, bei dem mehr als dreistündigen Gespräch habe eine "sachliche, offene Atmosphäre" geherrscht. Kraft sagte, beide Seiten seien sich einig, dass die finanziell angeschlagenen Kommunen Unterstützung des Landes benötigten. Auch im Bereich einer ökologischen Wirtschafts- und Industriepolitik gebe es "gemeinsame Zielformulierungen". Rüttgers war daran gelegen zu versichern, man wolle alles versuchen, um zu erreichen, dass die Gespräche erfolgreich seien. CDU und SPD müssten ihrer Basis deutlich machen, dass es darum gehe, stabile Verhältnisse in NRW zu schaffen.

Das Sondierungsgespräch wurde allerdings flankiert durch Forderungen aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus, dass Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsidentin werden soll, obwohl Jürgen Rüttgers und die CDU aus der Landtagswahl hauchdünn als stärkste Partei hervorgegangen sind. Jedenfalls hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles gestern im ARD-Morgenmagazin diesen Anspruch noch einmal bekräftigt: "Jürgen Rüttgers ist abgewählt worden, er scheint das immer noch nicht gemerkt zu haben." Ähnlich hatte sich zuvor bereits Berlins Regierender Bürgermeister geäußert, der auch stellvertretender Parteivorsitzender ist. "Frau Kraft hat den Anspruch, Ministerpräsidentin zu werden. Und diesen Anspruch wird sie in den Gesprächen zum Ausdruck bringen", hatte Klaus Wowereit am Donnerstag im Abendblatt gesagt. Die beiden SPD-Granden haben die Sondierungsgespräche damit nicht leichter gemacht.

Denn die CDU, die am 9. Mai mit einem knappen Vorsprung von 6000 Stimmen stärkste Partei geworden ist, besteht auf Einhaltung der Spielregeln. Und die besagen, dass der größere Partner in einer Koalition den Regierungschef stellt. Auch in einer Großen Koalition. Und auch wenn der Spitzenkandidat dieser Partei so umstritten ist wie Jürgen Rüttgers.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, der in diesen Tagen um sein politisches Überleben kämpft, zeigte sich gestern sowohl nachdenklich als auch konziliant und zu Korrekturen an seiner bisherigen Politik bereit. "Eine Große Koalition wird andere Schwerpunkte setzen, als das eine Koalition von Schwarz-Gelb gemacht hat", sagte Rüttgers. "Damit wird es eine Politik geben, die anders ist als in den vergangenen fünf Jahren." Auch Kraft versicherte: "Wir werden ernsthafte Gespräche führen." Dazu sind beide Parteien auch aufgerufen, denn eine Große Koalition ist momentan die einzige Möglichkeit, in Nordrhein-Westfalen eine Regierung zu bilden. Vor einer Woche waren Gespräche über eine rot-rot-grüne Koalition gescheitert. Die FDP hatte zuvor einer Koalition mit SPD und Grünen eine Absage erteilt und auch ein schwarz-gelb-grünes Bündnis ausgeschlossen. Damit scheiden auch diese Optionen "Ampel" und "Jamaika" aus.

CDU und SPD schienen gestern bereit, die Gretchenfrage, wer Regierungschef wird, an das Ende der Gespräche zu schieben, gestern war sie jedenfalls kein Thema. "Sondierungsverhandlungen fangen nie mit Personalfragen an", erinnerte Rüttgers an die Gepflogenheiten. Als beide Seiten nach dem ersten dreieinhalbstündigen Treffen auseinandergingen, waren Kraft und Rüttgers jedenfalls sichtlich um Freundlichkeit bemüht. Tatsächlich könnte einer der größten programmatischen Streitpunkte zwischen CDU und SPD rasch entschärft werden. Wie die "Westdeutsche Allgemeine" aus der SPD-Spitze erfuhr, wäre eine Einigung im Streit um die Schulpolitik des Landes auf der Grundlage des hamburgischen Modells aus Gymnasien und Mittelschulen (hier: Stadtteilschulen) denkbar, wobei Haupt- und Realschule in den Mittelschulen aufgehen. Die SPD hatte im Wahlkampf eigentlich für die "Schule für alle" gestritten.