Gesine Lötzsch und Klaus Ernst wurden zu den neuen Parteivorsitzenden gewählt. Doch eigentlicher Chef bleibt weiter ein anderer: Oskar Lafontaine.

Rostock. Radikal zu sein ist ihr wichtig. Zu regieren ist der Linkspartei neuerdings noch wichtiger. Wen man auch fragte beim Parteitag in Rostock, die Antwort war stets dieselbe: Die Genossen in Nordrhein-Westfalen sollen es unbedingt versuchen. Wenn so etwas wie ein Signal vom Parteitreffen am Wochenende ausging, dann war es das klare Bekenntnis, endlich auch in einem West-Bundesland Verantwortung übernehmen zu wollen.

Die Linke will laufen lernen. Sie will zeigen, dass man sie ernst nehmen und mit ihr koalieren kann. Selbst Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform, quasi das radikale Gesicht der Partei, sprach sich deutlich für Rot-Rot-Grün aus. Fraktionschef Gregor Gysi hatte da schon höhere Ziele im Visier. In Sachsen-Anhalt müsse man 2011 größte Partei werden, sodass die SPD dort den ersten linken Ministerpräsident mitwählen werde, forderte er.

Der Regierungsanspruch - in Ost und West gleichermaßen - gehört zum neuen Selbstverständnis der Partei. Und die neue Doppelspitze, die am Sonnabend die Nachfolge für Lothar Bisky und Oskar Lafontaine antrat, soll dieses Selbstverständnis verkörpern.

Es hatte Befürchtungen gegeben, das Parteitreffen könne in einem schmutzigen Machtkampf enden, in einer allgemeinen Abrechnung mit dem aus Intrigen und Kungelrunden entwickelten Personalvorschlag für die neuen Leitungsämter. Doch es ging gut in Rostock. Die Ostberliner Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch und der bayerische Gewerkschafter Klaus Ernst wurden wie geplant zu den neuen Parteichefs gewählt. Lötzsch erhielt 92,8 Prozent, Ernst 74,9 Prozent der Stimmen. Lötzsch konnte vor allem auf einen starken Rückhalt im Osten zählen. Für den ruppig und mitunter autoritär auftretenden IG-Metaller Ernst, der privat einen Porsche fährt, galt die Wahl längst nicht als gesichert. Ernst hat selbst in seinem bayerischen Landesverband nicht den Ruf, eine Integrationsfigur zu sein. Bei der letzten Vorstandswahl hatte Ernst als Parteivize sogar nur 59,2 Prozent der Stimmen erhalten. Manche im Saal fürchteten also, es könne eng werden. Im Nachhinein wurde Ernsts Ergebnis sogar als richtig gut bewertet.

Die neuen Parteichefs sollen nun fortsetzen, was vor drei Jahren mit der Gründung der Partei angestoßen wurde: die Vereinigung von Linken in Ost und West. Für das Sammelsurium aus Strömungen und Gesinnungen, die sich alle auf ihre Weise als links definieren, gibt es noch kein Parteiprogramm, nur einen Entwurf. Ost und West, Ex-PDS und Ex-WASG beäugten sich auch in Rostock mit Argwohn. Und das neue Führungsduo ist ein Ausdruck der noch tiefen kulturellen Gräben innerhalb der Partei. "Die sind so was von verschieden", gab sogar Gysi zu, als er die Kandidaten vorstellte. Er selbst könnte zu den Gewinnern der neuen Chef-Konstellation zählen. Allein rhetorisch ist Gysi beiden weit überlegen.

Die neue Personalaufstellung ist ein Kompromiss, dem harte Kämpfe vorausgegangen waren. Dass Lafontaine aus gesundheitlichen Gründen aufgeben würde, hatte die Partei kurz nach der erfolgreichen Bundestagwahl nicht geahnt. Sie hatte sich nur auf den lang angekündigten Rückzug Biskys eingestellt. Auch auf das Ende von Dietmar Bartsch als Bundesgeschäftsführer hatte sich die Partei nicht vorbereitet. Bartsch musste aufgeben, nachdem er wegen Illoyalitätsvorwürfen gegenüber Lafontaine das Vertrauen der Parteispitze verloren hatte. Gysi rief ihm zum Abschied zu: "Dietmar, du bleibst bei uns, und du wirst wieder was."

Aber solange Lafontaine in der Partei noch etwas zu sagen hat , wird Bartsch wohl warten müssen. Ihr Verhältnis gilt als zerrüttet. Und Lafontaine gab sich in Rostock nicht so, als wolle er wirklich gehen. Seine Abschiedsrede als Parteichef war keine besinnliche Rückschau. Er ließ keinen Einblick in seine Gefühlswelt zu, er sagte auch nicht, wie es um seine Gesundheit steht. Dabei war es seine Krebserkrankung gewesen, die den 66-Jährigen erst zum Rückzug vom Fraktionsvorsitz im Bundestag und später zur Ankündigung seines Rückzugs aus der Parteispitze gezwungen hatte. Lieber wies Lafontaine auf seine Erfolge hin: darauf, dass die Linke im Bundestag stärker als die Grünen und die CSU ist, dass die Partei in 13 von 16 Landtagen vertreten ist, dass sie das Fünf-Parteien-System etabliert hat, und darauf, dass sie die einzige Anti-Kriegs-Partei Deutschlands ist.

"Wehmut", so sagte Lafontaine noch, sei "keine Kategorie, die mich beschäftigt." Er wird weitermachen, offiziell nur noch als Fraktionschef der Linken im Saarland. Aber dabei wird es kaum bleiben. Nichts spricht dafür, dass der frühere SPD-Vorsitzende nun still zuschaut, wie sich die junge Partei ohne ihn entwickelt. Denn die Linke ist für Lafontaine vor allem eines: sein eigenes Werk. Er braucht nicht das Amt des Parteivorsitzenden, um Chef zu sein.

Die Partei hat Lafontaine die Genugtuung zurückgegeben, die er in der SPD nie bekam. Lafontaine wollte zweimal Bundeskanzler werden. 1990 scheiterte er an Helmut Kohl, 1998 als SPD-Chef innerparteilich an Gerhard Schröder. Er wurde Finanzminister und schmiss kurz darauf alles hin. Lafontaines Karriere war beendet. Das Projekt Linkspartei half ihm, sich neu zu erfinden. Und jetzt, mehr als elf Jahre nach dem Bruch, beginnt nun wieder ein anderer Abschnitt im politischen Leben Lafontaines. Ein Abschnitt, der nicht definiert ist. Ihm kommt das entgegen.

Lafontaine nutzte schon in Rostock seine ungeklärte Rolle zwischen offiziellem Machtverlust und heimlichem Machterhalt, um der Partei die Richtung für die kommenden Jahre zu diktieren: "Eine erfolgreiche Strategie wechselt man niemals aus." Ein Satz wie eine Drohung. Lafontaine ging noch weiter. Er setzte auch die Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen gehörig unter Druck, indem er schon Bedingungen für eine Koalition mit SPD und Grünen nannte. "Wir sind bereit, eine rot-rot-grüne Regierung mitzutragen, wenn der Sozialabbau verbindlich im Bundesrat gestoppt wird", so seine Forderung.

Darf ein scheidender Parteichef so eigenmächtig die Ziele vorgeben? Lafontaine darf. Die Delegierten übergaben ihm trotzdem pflichtschuldig ein Abschiedsgeschenk, ein Buch des Dramatikers Peter Hacks. Der übrigens arbeitete bis ins hohe Alter.