Athen. Damit ist der Weg für neue EU-Verhandlungen frei. 63 von 300 Abgeordneten stimmten gegen Erneuerungen im Banken- und Justizsystem.

Das griechische Parlament hat ein weiteres entscheidendes Reformpaket gebilligt und damit den Weg für Verhandlungen über Milliardenhilfen geebnet. 230 Abgeordnete im Parlament mit seinen 300 Sitzen stimmten am frühen Donnerstagmorgen in Athen für die Maßnahmen, die Reformen im Bereich der Justiz und der Banken vorsehen.

Die Billigung des zweiten und letzten Reformpakets war Voraussetzung für die Aufnahme von Gesprächen mit den Gläubigern aus EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) über ein neues Hilfsprogramm für das von der Pleite bedrohte Land.

Laut Finanzminister Euklid Tsakalotos könnte die Regierung bereits am Freitag Gespräche mit den Gläubigern aufnehmen. Eine Einigung müsse bis spätestens 20. August stehen, sagte Tsakalotos im Parlament. Bis dahin muss Griechenland knapp 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen.

63 Abgeordnete stimmten dagegen

Wie das Parlamentspräsidium mitteilte, stimmten am Donnerstagmorgen 63 Parlamentarier gegen das Reformpaket. Es gab demnach 5 Enthaltungen, zwei Abgeordnete waren abwesend. Auch der zurückgetretene Finanzminister Gianis Varoufakis soll mit "Ja" gestimmt haben.

Bis zuletzt hatte Ministerpräsident Alexis Tsipras darum gekämpft, potenzielle Abweichler vom linken Flügel seiner Regierungspartei Syriza auf Linie zu bringen. Im Regierungslager gab es Medienberichten zufolge von 162 Abgeordneten 36 Abweichler - bei einer Abstimmung über Änderungen im Steuer- und Rentensystem vor einer Woche waren es noch 39 gewesen.

Chronologie der Griechenland-Krise

März 2010

Das Parlament in Athen verabschiedet ein erstes massives Sparprogramm, das unter anderem Steuererhöhungen sowie das Einfrierender Renten vorsieht. Massenproteste folgen. Die Eurostaaten sagen ein erstes Hilfspaket unter Beteiligung des Internationalen Währungsfonds(IWF) zu.

April/Mai 2010

Griechenland beantragt offiziell ein Hilfsprogramm. Die Eurogruppe beschließt Notkredite in Höhe von 110 Milliarden Euro und verlangt im Gegenzug einen harten Sparkurs.

Oktober 2011

Ein zweites Rettungspaket wird beschlossen:Griechenlands private Gläubiger sollen freiwillig einem Schuldenschnitt von 50 Prozent zustimmen. Zudem soll es Kredithilfen von 100 Milliarden Euro geben und Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird.

Februar/März 2012

Das griechische Parlament stimmt einem weiteren Sparpaket zu, das auf Druck der internationalen Geldgeber mehrfach verschärft wird.

November 2012

Athen billigt abermals ein Sparpaket als Voraussetzung für weitere Hilfen. Ein drittes Rettungspaket ist im Gespräch. Die Eurogruppe signalisiert, dass weitere Hilfen möglich sind - aber erst, wenn das laufende Hilfsprogramm erfolgreich beendet wird.

Juli 2013

Und wieder muss Athen neuen Sparmaßnahmen zustimmen. Siesehen unter anderem die Entlassung von 15 000 Staatsbediensteten vor. Bei weiteren 25 000 Beamten werden die Einkommen gekürzt.

Januar 2015

Die Linkspartei Syriza unter Alexis Tsipras gewinnt die Parlamentswahl. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung desvereinbarten Sparkurses.

Februar 2015

Die Euro-Finanzminister verlängern das - bereits einmal verlängerte - Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.

März 2015

Athen legt eine Liste mit Reformen vor, die pro Jahr drei Milliarden Euro einbringen sollen. Es geht vor allem um den Kampf gegen Steuerhinterziehung. Die internationalen Geldgeber halten die Liste für unzureichend und verlangen Nachbesserungen.

Mai 2015

Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Die Finanznot in Athen wird immer größer. Die Regierung sucht nach Geld, um Kreditschulden beim Internationalen Währungsfonds bezahlen zu können.

Juni 2015

Der IWF erlaubt Griechenland, insgesamt vier im Juni fällige Kredite erst Ende des Monats zurückzuzahlen. Athen legt neue Reformvorschläge vor, Krisentreffen auf Spitzenebene bleiben aber ergebnislos. Tsipras schlägt überraschend vor, das griechische Volk über die Sparvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen und wirbt für ein negatives Votum. Die Eurogruppe erklärt die Verhandlungen für gescheitert, das Hilfsprogramm wird nicht verlängert.

13. Juli 2015

Der Grexit ist vorerst abgewendet. Beim Euro-Gipfel in Brüssel einigen sich die Regierungschefs mit Griechen-Premier Alexis Tsipras auf ein Reform- und Sparprogramm. Der Finanzbedarf der Griechen wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren taxiert. Die Parlamente in den Euro-Ländern müssen noch zustimmen.

1/12

Die Koalition aus dem Linksbündnis Syriza und den Rechtspopulisten (Anel) verfehlte damit erneut eine eigene Mehrheit. Tsipras wird bei den Reformen aber von der Opposition unterstützt. Vor dem Parlamentsgebäude gab es am Abend erneut Proteste gegen den Spar- und Reformkurs. Vereinzelt flogen Steine und Brandsätze.

Die wichtigsten Änderungen im Bereich der Justiz sind Maßnahmen zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren. Dies wird nach Angaben von Rechtsanwälten hauptsächlich Eigentümer von Immobilien treffen, die ihren Zahlungsverpflichtungen an Banken nicht nachkommen. Künftig sollen Kreditnehmer ihre Wohnungen verlieren können, wenn sie mit Zins- und Tilgungsraten an die Banken in Verzug geraten.

Aktionäre sollen Lasten mittragen

Mit dem zweiten Teil des nun gebilligten Reformpakets, dem neuen Bankengesetz, sollen Spareinlagen bis 100.000 Euro gesichert werden. Bei höheren Geldeinlagen sollen die Kontoinhaber ebenso wie Aktionäre einen Teil der Lasten der Sanierung maroder Banken mittragen.

Griechenland-Krise: So hilft die Eurogruppe

Hilfspaket an Reformen gekoppelt

In ihrer Abschlusserklärung skizzieren die 19 Euro-Staaten die Linien für ein neues Hilfspaket für Griechenland. Darin werden die Einsparungen und Reformen genannt, die Athen im Gegenzug für neue Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM leisten muss. Der Euro-Gipfel beziffert den Finanzbedarf Griechenlands auf 82 bis 86 Milliarden Euro.

Reformen und Regeln

Athen muss unverzüglich Reformen verabschiedet. Bis Mittwoch, 15. Juli, sollen Rechtsvorschriften verabschiedet sein, um das Mehrwertsteuersystem zu straffen und die langfristige Tragfähigkeit des Rentensystems zu verbessern. Das griechische statistische Amt ELSTAT soll voll rechtlich unabhängig werden. Die Regierung soll zudem sicherstellen, dass die Regeln des Stabilitätsvertrages komplett umgesetzt werden.

Verfahren beschleunigen

Bis 22. Juli soll eine Zivilprozessordnung angenommen sein, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten erheblich zu senken. Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll bis dahin umgesetzt werden. Erst wenn das griechische Parlament alle in der Gipfel-Erklärung enthaltenen Verpflichtungen gebilligt hat, können die Verhandlungen über ein Rettungspaket beginnen, heißt es in dem Dokument.

Renten und Ladenöffnung

„Die von Griechenland vorgeschlagenen Reformmaßnahmen (müssen) erheblich ausgeweitet werden, um der deutlichen Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage des Landes im vergangenen Jahr Rechnung zu tragen“, so die Gipfel-Erklärung. Zu den Maßnahmen zählt: Durchführung ehrgeiziger Reformen des Rentensystems bis Oktober 2015; Verabschiedung ehrgeizigerer Produktmarktreformen und Umsetzung der OECD-Empfehlungen etwa zu verkaufsoffenen Sonntagen, Schlussverkaufs-Perioden, Eigentum an Apotheken und Bäckereien, sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb.

Kein politischer Einfluss mehr

Privatisierung des Stromübertragungsnetzbetreibers (ADMIE), Modernisierung der Arbeitsmärkte etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen, Massenentlassungen; Stärkung des Finanzsektors, etwa durch bessere Steuerung der Banken und die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme

Privatisierungsfonds

Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von hohen griechischen Vermögenswerten an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der diese zu Geld macht. Dieses Geld soll wird eine Quelle für die Rückzahlung des neuen ESM-Darlehens sein. Der Fonds soll einen Gesamtwert von 50 Milliarden Euro erzielen. Davon würden 25 Milliarden Euro für die Rückzahlung der Rekapitalisierung von Banken und anderen Vermögenswerten verwendet.

Verwaltung

Modernisierung und Kosten senken: Die Zusammenarbeit mit den Geldgeber-Institutionen bei der Überwachung von Programmen soll normalisiert werden. In der Gipfelerklärung heißt es zu dem Fonds und der Verwaltungsmodernisierung: „Die oben aufgeführten Verpflichtungen sind Mindestanforderungen für die Aufnahme der Verhandlungen mit der griechischen Regierung.“

Finanzbedarf

Der Euro-Gipfel beziffert mit Bezug auf die Geldgeber-Institutionen den Finanzbedarf Athens auf 82 bis 86 Milliarden Euro. Akut benötige Griechenland 7 Milliarden Euro bis zum 20. Juli und weitere 5 Milliarden Euro bis Mitte August.

Banken

Wegen der Probleme der griechischen Banken geht der Gipfel davon aus, dass ein neues Hilfsprogramm einen Puffer von 10 bis 25 Milliarden Euro für den Bankensektor schaffen müsste. Damit könnten die Banken frisches Kapital erhalten und taumelnde Banken könnten abgewickelt werden.

Schuldenschnitt?

In der Gipfel-Erklärung heißt es: „Der Euro-Gipfel betont, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann.“ Bei einem künftigen Hilfsprogramm könne es auch zusätzliche Maßnahmen geben, etwa einen längeren Tilgungsaufschub für Athen und längere Rückzahlungsfristen. „Das Risiko eines nicht zügigen Abschlusses der Verhandlungen liegt vollständig bei Griechenland“, heißt es in der Erklärung.

1/10

Gegen die Reformen lief insbesondere der linke Syriza-Flügel Sturm und sprach offen von der Möglichkeit eines griechischen Euro-Austritts. Die vom linken Lager kontrollierte Parteijugend forderte abermals einen Sonderparteitag. In Athen halten Experten eine Spaltung Syrizas und vorgezogene Wahlen auf Initiative Tsipras' im Herbst für möglich. Die wichtigsten Oppositionsparteien warnten den Ministerpräsidenten vor Neuwahlen und deren Folgen. Politiker forderten stattdessen parteiübergreifend die Bildung einer Einheitsregierung, um das Land aus der Krise zu führen.

86 Milliarden Euro über drei Jahre

Griechenland ist mit über 300 Milliarden Euro verschuldet und hat - gemessen an der Wirtschaftsleistung - die EU-weit höchste Schuldenlast. Das neue Hilfspaket soll bis zu 86 Milliarden Euro umfassen und sich über drei Jahre erstrecken. Nach Angaben von EU-Währungskommissar Pierre Moscovici streben die Geldgeber eine Vereinbarung in der zweiten August-Hälfte an.

Laut dem in Brüssel mit den Geldgebern vereinbarten Spar- und Reformfahrplans muss die griechische Regierung noch weitere Auflagen angehen. Dazu zählen unter anderem die Liberalisierung des stark reglementierten Apotheken-, Bäckereien- und Milchmarktes, die Modernisierung der Regeln für Tarifverhandlungen, Streiks und Massenentlassungen sowie die Modernisierung der Verwaltung.