Mutmaßlicher Islamist erschießt in Kopenhagen zwei Männer und kommt selbst ums Leben. Das Land reagiert besonnen.

Kopenhagen. Zwei Todesopfer, der Attentäter erschossen, und dennoch ist in Kopenhagen keine Panik ausgebrochen. Die Dänen lassen sich nicht terrorisieren, doch alarmiert sind sie schon. Suchhubschrauber kreisen über der dänischen Hauptstadt, Sirenen zerreißen die nächtliche Ruhe. Dennoch wäre es übertrieben zu sagen, dass die Dänen in heller Aufruhr sind.

„Es gibt viele Fragen, die die Polizei noch beantworten muss“, sagte Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt nach den erschütternden Ereignissen und sprach von einem „unendlich traurigen Morgen“. „Aber es gibt eine Antwort, die wir heute schon geben können. Und die lautet, dass wir unsere Demokratie verteidigen werden.“ Dänemark habe einige Stunden erlebt, die das Land nicht vergessen werde. „Wir wissen nicht, was die Motive für die Attacken waren, aber wir wissen, dass es Kräfte gibt, die Dänemark schaden wollen, die unsere Meinungsfreiheit und unseren Glauben an Freiheit zerstören wollen“, sagte die Regierungschefin weiter. Die jüdische Gemeinde sei ein wichtiger Teil Dänemarks. „Ihr steht nicht allein da“, betonte die Regierungschefin. Kurz nach Mitternacht war vor der Synagoge im Stadtzentrum ein 37-jähriger Jude getötet worden, der wegen einer Bar-Mizwa vor dem Gotteshaus Wache hielt.

Noch in der Nacht wird der mutmaßliche Täter gestellt, der zunächst bei einer Veranstaltung über „Kunst, Gotteslästerung und freie Rede“ einen Gast, der Zeitung „Ekstra Bladet“ zufolge den 55-jährigen Filmregisseur Finn Nørgaard, erschossen und drei Personenschützer verletzt hatte. Mehr als 40 Schüsse aus einer automatischen Waffe soll er auf das Kulturcafé Krudttønden (Pulverfass) abgefeuert haben, in dem die Veranstaltung abgehalten wurde – mit dem schwedischen Künstler und Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks, 68, sowie dem französischen Botschafter François Zimeray als Ehrengäste, die beide unverletzt bleiben. „Ich bin mit dem Fahrrad angekommen, also auf dänische Art, und bin in einem gepanzerten Fahrzeug wieder abgefahren“, berichtete Zimeray der Zeitung „Le Monde“. „Ich habe ein Umkippen der Gesellschaft erlebt.“ Die Schüsse fielen, kurz nachdem Zimeray als Ehrengast gesprochen und die ukrainische Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko das Wort ergriffen hatte. Zimeray spielte den Journalisten eine Tonaufnahme vor: 40 bis 50 Schüsse aus einer automatischen Waffe sind zu hören.

„Als sie sprach, haben wir plötzlich einen großen Lärm gehört“, berichtete Zimeray der Zeitung „Le Journal du Dimanche“. „Ich habe mir gesagt, dass ein Schrank umgekippt ist oder es sich um einen Knallkörper handelt. Aber nein. Das waren wirklich aufeinanderfolgende Schüsse. Ich habe das nicht glauben können. Das konnte doch nicht wieder losgehen wie in Paris! Doch in wenigen Sekunden war mir klar, dass wir dasselbe erleben wie bei ,Charlie Hebdo‘.“

Die dänische Polizei konnte den Attentäter inzwischen identifizieren. Er sei den Ermittlern wegen Gewaltdelikten bekannt gewesen, hieß es. Die Identität des Mannes mit arabischem Aussehen wollten Polizei und Sicherheitsbehörden zunächst aber nicht preisgeben. „Er kommt aus Kopenhagen, das ist alles, was wir sagen können“, sagte der Chef der dänischen Sicherheitsbehörde PET, Jens Madsen. Nach Angaben des Fernsehsenders tv2 handelt es sich um den 22 Jahre alten Omar Abdel Hamid El-Hussein. Laut „Extrabladet“ war er erst vor zwei Wochen aus einem Gefängnis entlassen worden.

Der Anschlag gegen das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar in Paris könnte den Attentäter nach Einschätzung von PET zu den Taten inspiriert haben. Nichts deute bislang darauf hin, dass der Mann einen Komplizen gehabt habe, sagte Madsen, noch gebe es Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Täter sich als Dschihadist in Syrien oder im Irak aufgehalten habe. Die Ermittler fanden bei ihm eine Waffe, die die Tatwaffe sein könnte.

Der Täter war nach seinem Angriff auf das Kulturcafé zunächst in einem dunklen VW Polo geflüchtet. Danach setzte er seine Flucht in einem Taxi fort und ließ sich nach Hause in seine Wohnung fahren. Der Taxifahrer gab den Ermittlern den entscheidenden Tipp. Als die Beamten den Verdächtigen am frühen Sonntagmorgen vor dem observierten Haus im Wohngebiet am Bahnhof Nørrebro ansprachen, habe der Mann das Feuer eröffnet, berichtete die Polizei. Daraufhin hätten die Beamten zurückgeschossen und den Angreifer getötet. Das Viertel in Kopenhagen ist bekannt für seinen hohen Migrantenanteil. Der Fahndungserfolg war nicht schnell genug für einen 37-jährigen Wachmann vor der Synagoge in der Kopenhagener Krystalgade. Warum der Täter einen zweiten tödlichen Anschlag verüben konnte, obwohl es viel Material aus Überwachungskameras gab und die Adresse des Mannes bekannt war, gehört zu den offenen Fragen.

Die Juden in Dänemark teilen die Gelassenheit ihrer dänischen Mitbürger nicht. „Ich bin schockiert. Alle sind schockiert“, sagte der Vorsitzende der Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, dem dänischen Fernsehen. „Das ist das, was wir immer befürchtet haben. Und das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, dass es in Dänemark passieren könnte.“ Laut Asmussen hatte die jüdische Gemeinde die Sicherheitsvorkehrungen nach den Terroranschlägen in Paris Anfang Januar verstärkt. Unter den Verletzten sind auch mehrere Polizisten.

Die umstrittene dänische Grimhøj-Moschee in Aarhus hat sich von den Terrorangriffen in Kopenhagen scharf distanziert. „Wir sind natürlich gegen jede Art von Gewalt und Terror gegen

Unschuldige“, sagte der Vorsitzende der Moschee, Oussama Mohamad al-Saadi, der Zeitung „Jyllands-Posten“. Er sei traurig über die Ereignisse. Aus dem Umfeld der Moschee sollen viele der dänischen Dschihadisten stammen, die sich in Syrien und im Irak der Terrormiliz IS angeschlossen haben.