Moskau vollzieht Annexion Schritt für Schritt. Doch der Uno-Generalsekretär will Gesprächsfaden nicht abreißen lassen

Moskau/Berlin. Mit einer großen Brücke für Autos und Züge will Kremlchef Wladimir Putin die Schwarzmeerhalbinsel Krim so rasch wie möglich ans russische Festland anbinden. Rund vier Kilometer sind das zwischen Kertsch und der russischen Nehrung Tschuschka. Der Präsident schert sich auch am Tag nach dem weltpolitischen Erdbeben, mit dem er mal eben durch eine Unterschrift die postsowjetische Wirklichkeit erschütterte, nicht darum, dass der Westen die Krim weiter für einen Teil der Ukraine hält.

Sanktionen und eine Isolierung will der unlängst vom US-Magazin „Forbes“ zum mächtigsten Mann der Welt Gekürte gern für diesen „Sieg“ aussitzen. Auch ein drohender Ausschluss aus der G8-Gruppe kümmere Putin nicht, meinen Kommentatoren im kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy. Der 61-Jährige interessiere sich schon seit Längerem eher für die breiter aufgestellte G20-Gruppe. Da sei ihm mehr Zuspruch sicher als in dem westlich geprägten Kreis der G8-Industrienationen, der eigentlich Anfang Juni im russischen Schwarzmeerkurort Sotschi tagen wollte.

„Die Krim gehört zur Landkarte Russlands“, schreibt am Mittwoch auch die kremlkritische Zeitung „Nowaja Gaseta“. Die Rede Putins über den Anschluss der Halbinsel sei eine der „besten“ seiner Karriere, kommentiert das Blatt. Friedensnobelpreisträger Michael Gorbatschow, Gründer der Zeitung und einer der Väter der Deutschen Einheit, fordert den Westen auf, den Willen der Krim-Bewohner zu akzeptieren – und von weiteren Verschärfungen der Spannungen abzusehen.

Nicht wenige erwarten, dass der Westen es möglicherweise bei Sanktionen belässt, die allenfalls Russlands Ruf schädigen, sich aber nicht auf die engen und für beide Seiten wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen auswirken. Wer sich in der bisweilen bissigen Moskauer Hauptstadtpresse umschaut nach dem Beschluss zur „historischen Wiedervereinigung“ der Krim mit Russland, findet kaum Kritik am Kremlkurs. Vom „Triumphator“ Putin ist immer wieder die Rede. Russland gibt nun offiziell Pässe auf der von Kiew abtrünnigen Halbinsel aus. „Alle Einwohner der Krim, die sich an die Behörden wenden, erhalten einen Pass, da sie seit gestern Bürger der Russischen Föderation sind“, sagt der Chef der Migrationsbehörde, Konstantin Romodanowski, am Mittwoch der Agentur Interfax in Moskau.

Und noch vor dem endgültigen Anschluss der Krim baut Russland auch die militärische Kontrolle über die Schwarzmeerhalbinsel weiter aus. Am Mittwoch stürmten prorussische Kräfte das Hauptquartier der ukrainischen Flotte in der Hansestadt Sewastopol und setzten Marinechef Sergej Gajduk fest und hissten russische Flaggen. Nach Dutzenden ukrainischer Soldaten hätten auch Kommandeure den Stützpunkt verlassen, meldete die Agentur Interfax. Das örtliche Internetportal sevastopol.su berichtete, Marinechef Gajduk habe sich im Jogginganzug gestellt. Es habe weder Gewalt noch Verletzte gegeben. Die Regierung in Kiew verlangt die sofortige Freilassung des Marinekommandeurs. Das Ansinnen verhallt vorerst ungehört. Nach ukrainischen Angaben versuchen prorussische Kräfte zudem, mit einem Traktor einen ukrainischen Stützpunkt bei Jewpatorija im Westen der Krim zu stürmen.

Die ukrainischen Soldaten auf der Krim sehen sich einem zunehmenden Befehlschaos gegenüber. Die moskautreue Krim-Führung hat sie zum Seitenwechsel aufgerufen. Das ukrainische Verteidigungsministerium wiederum erteilt die Erlaubnis zum Waffeneinsatz zur Selbstverteidigung. Der Chef der russischen Schwarzmeerflotte, Alexander Witko, fordert die ukrainischen Truppen auf der Halbinsel auf, diesen Befehl nicht umzusetzen. In den Rekrutierungszentren der ukrainischen Armee in Sewastopol und Simferopol gibt es bereits eigens eingerichtete Büros für übertretungswillige Soldaten. Schon am Tag nach dem Referendum sollen sich 500 ukrainische Militärangehörige den Krim-Streitkräften angeschlossen haben. Kiew arbeitet jetzt einen Abzugsplan für seine Soldaten.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon reist kurzfristig nach Russland und trifft am Donnerstag Präsident Putin und Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Einen Tag später will er in Kiew mit Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Regierungschef Arseni Jazenjuk über die Lage sprechen. Der Besuch sei „Teil der diplomatischen Bemühungen, um alle Seiten zu einer friedlichen Lösung der Krise zu bewegen“, teilen die Vereinten Nationen mit.

US-Vizepräsident Joe Biden kritisiert derweil das russische Vorgehen auf der Krim als „unverhüllte Aggression“ und droht mit Konsequenzen. „Solange Russland diesem dunklen Pfad folgt, wird es wachsende politische und wirtschaftliche Isolation erfahren“, sagt er in der litauischen Hauptstadt Vilnius. „Russland geht einen international isolierten Weg, und es ist ein Weg, der große Gefahren für das Zusammenleben der Staaten in Europa birgt“, sagt der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Großbritanniens Premierminister David Cameron ruft zu einer Diskussion über einen Ausschluss Russlands aus dem Staatenbund G8 auf. „Wenn wir uns von dieser Krise abwenden und nichts tun, dann werden wir langfristig einen sehr hohen Preis zahlen“, sagt er im Parlament in London. Tschechiens Außenminister Lubomir Zaoralek mahnt: „Wenn wir Referenden über Grenzen abhalten, weil jemand vor Ort eine nationale Minderheit hat, dann führt das in die Hölle.“

Im Ringen um eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine gibt es keine Fortschritte. Eine OSZE-Sitzung am Mittwoch in Wien wird ohne neuen Termin vertagt, wie die Schweizer Präsidentschaft eingestehen muss. Es gebe auf russischer Seite keine Bewegung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hält eine solche Mission, die prüfen soll, „ob es Aktivitäten Russlands jenseits der Krim gibt“, für dringlich. Deutschland wolle sich mit bis zu 20 eigenen Beobachtern beteiligen.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) stoppt am Abend ein Geschäft des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit der russischen Armee vorerst. „Die Bundesregierung hält in der gegenwärtigen Lage die Ausfuhr des Gefechtsübungszentrums nach Russland für nicht vertretbar“, teilt das Wirtschaftsministerium in Berlin mit. Das Geschäft hat eine Größenordnung von etwa 120 Millionen Euro.