Washington und London sprechen von „ernsthafter Antwort“, sollte sich der Giftgas-Einsatz in Syrien bewahrheiten. In dem Fall fordert auch Paris eine Bestrafung der Regierung von Machthaber Assad.

Washington. Während US-Präsident Barack Obama mit Amerikas Alliierten Optionen für ein militärisches Eingreifen in Syrien prüft, droht das Regime für diesen Fall mit einem „Feuerball, der den Nahen Osten in Brand setzt“. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel erklärte: „Die US-Regierung wägt die Risiken eines Handelns gegen die Kosten des Nichthandelns… ab. Sie wird auf Grund von Tatsachen entscheiden.“ Der syrische Informationsminister Omran Zoabi warnte die USA vor einem Überschreiten einer „roten Linie“, eine Militäraktion gegen Syrien werde „kein Picknick“. Der Iran, Syriens engster Verbündeter, ließ seinen stellvertretenden Stabschef der Streitkräfte, Massud Dschasajeri, mit „ernsten Konsequenzen“ drohen, falls eine Koalition unter Führung der USA eingreife. Sowohl das Assad-Regime als auch Russland machen die Aufständischen für den Giftgas-Angriff verantwortlich. Es handele sich um eine Provokation der „Terroristen“, heißt es.

Mindestens die Indizien für den Einsatz von Giftgas scheinen kaum bestreitbar. Nach Untersuchungen der Organisation Ärzte ohne Grenzen starben mindestens 355 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, sehr wahrscheinlich, als sie am vergangenen Mittwoch massenhaft einer „neurotoxischen Substanz“ ausgesetzt wurden. Alle Symptome der mehr als 3600 in drei Kliniken eingelieferten Verletzten wie Atemnot, Krämpfe, verkleinerte Pupillen, verstärkter Speichelfluss und verzerrte Sehfähigkeit deuteten auf eine Vergiftung. „Wir können weder wissenschaftlich eindeutig die Ursache für diese Symptome nennen noch feststellen, wer für den Angriff verantwortlich ist“, stellte Bart Janssens von Ärzte ohne Grenzen fest. Doch deute alles auf ein Nervengift hin. Auf Rebellenseite ist von bis zu 1300 Toten die Rede.

Obama hatte am Freitag ein Uno-Mandat oder wenigstens unwiderlegbare Beweise für ein Giftgasmassaker des Assad-Regimes zur Voraussetzung für ein Eingreifen gemacht. Der Präsident konferierte am Sonnabend telefonisch mit dem britischen Premierminister David Cameron. Danach erklärte Camerons Büro, beide Regierungschefs seien besorgt „über sich verdichtende Anzeichen“ für den Einsatz chemischer Waffen. Sollte sich dies bewahrheiten, zöge dies eine „ernsthafte Antwort“ der internationalen Staatengemeinschaft nach sich. Unterdessen warten Uno-Waffeninspektoren in einem Hotel in Damaskus darauf, endlich zu dem nur 20 Autominuten entfernt liegenden Ort des Angriffs vom vergangenen Mittwoch fahren zu können. Das Team hält sich im Land auf, um ältere Vorwürfe von Giftgaseinsatz zu überprüfen. Das Regime hat die Inspektoren nach langen Verhandlungen einreisen lassen. Am Sonntag bekamen sie nun auch grünes Licht zur Überprüfung des neuesten Falls, wie die amtliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf das Außenministerium berichtete. Demnach darf das von dem Schweden Ake Sellström geleitete Team auch in der Provinz Damaskus ermitteln. Die Untersuchung werde am heutigen Montag beginnen, teilte die Uno mit.

Am vergangenen Donnerstag hatte US-Außenminister John Kerry in einem Telefongespräch mit seinem syrischen Gegenpart „unmittelbaren und ungehinderten Zugang“ für die Inspektoren verlangt. Das Regime müsse sofort aufhören, die Arbeit des Inspektionsteams zu blockieren und Beweise zu zerstören. Gewöhnlich gibt es keinen Telefonkontakt zwischen Washington und Damaskus. In US-Regierungskreisen wird nicht bestritten, dass Kerrys Anruf eine Warnung gewesen sein könnte. Alle Optionen würden geprüft, heißt es ein ums andere Mal. Zugleich verlautete aus Kreisen des Pentagon, ein vierter Zerstörer sei ins östliche Mittelmeer verlegt worden. Jedes der vier Kriegsschiffe ist mit Marschflugkörpern ausgerüstet.

Amerikaner sind nach den Einsätzen im Irak und in Afghanistan kriegsmüde

Deutlicher äußerte sich Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, zurzeit zu Gast in Israel. Es wäre undenkbar, dass die Weltgemeinschaft im Fall von Beweisen für einen Giftgasangriff nicht stark reagierte. Israels Staatspräsident Schimon Peres stimmte zu: „Das Massaker in Syrien muss gestoppt werden“, sagte Peres, moralische Erwägungen seien wichtiger als alle anderen. In Paris drohte zeitgleich der französische Präsident François Hollande der syrischen Regierung. Es gebe ein „Bündel Belege“ dafür, dass es am 21. August einen Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus gegeben habe, erklärte Hollande. Alles deute darauf hin, dass das Assad-Regime dafür verantwortlich sei. Frankreich sei entschlossen, „diese Tat nicht ungestraft zu lassen“.

In Washington gilt der 78-Tage-Luftkrieg im Kosovo als mögliches Vorbild. Präsident Bill Clinton, im Jahr 1999 in den Vereinten Nationen von Russland blockiert wie heute Obama, setzte auf eine Nato-Koalition und die Begründung, Massaker an wehrlosen Zivilisten zu verhindern. Die vier Kriegsschiffe im Mittelmeer legen heute eher einen Angriff mit Tomahawk-Raketen wie 2011 gegen die Truppen des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi nahe. Gaddafi wurde durch die internationale Intervention schließlich von Rebellen gestürzt. Doch liegt der Fall Syrien in vielerlei Hinsicht anders. So ist die US-Regierung unsicher, ob sie nicht mit al-Qaida verbündete Terroristen mit Waffenlieferungen unterstützen könnte. Der Vorsitzende der vereinigten Stabschefs, General Martin Dempsey, hatte in einem Schreiben an einen Kongressabgeordneten die Befürchtung geäußert, die Rebellen zu bewaffnen, „hieße, sich für eine von vielen Seiten zu entscheiden… Und ich glaube, dass die Seite, die wir wählen, bereit sein muss, ihre und unsere Interessen zu wahren, wenn die Lage sich zu ihren Gunsten entwickelt. Und bis heute ist die das nicht.“

Dies ist die Sorge, mit der das Weiße Haus der Forderung John McCains begegnet, die Rebellen mit schweren Luftabwehr-Waffen und Raketen auszurüsten. Der republikanische Senator ermutigte den Präsidenten auch, Luftschläge anzuordnen, um syrische Kampfflugzeuge und Landebahnen zu vernichten. Solange dies nicht geschehe, „beherrscht das Regime Schlachtfelder und Ortschaften und Städte“. Die Amerikaner sind nach den Einsätzen im Irak und in Afghanistan aber kriegsmüde. Nur neun Prozent befürworten nach einer Reuters-Ipsos-Umfrage vom 23. August ein Eingreifen in Syrien, 60 Prozent sprechen sich dagegen aus. Selbst wenn dem Assad-Regime ein Giftgasangriff nachzuweisen wäre, wären nur 25 Prozent für eine Intervention und immer noch 46 Prozent dagegen.