Mal keine EU-Marathonverhandlungen und eine Kanzlerin, die zwischen allen vermittelt. Eine Lösung ganz ohne Briten will Merkel verhindern.

Brüssel. Am Ende ging es überraschend schnell im Billionenpoker um die künftigen EU-Finanzen. Nicht einmal zwei Stunden saßen die EU-Staatenlenker im monströsen Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude zusammen, um sich kurz nach Mitternacht eine längere Pause zu gönnen und am Freitagmittag weiterzumachen. Ein Scheitern des Sondergipfels zum EU-Haushalt lag in der Luft. Zu verhärtet sind die Fronten zwischen all den Lagern – was auch stundenlange „Beichtstuhl“-Gespräche, immer neue Runden im kleinen Kreis und Kompromisspapiere nicht änderten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Sondertreffen schon vor Beginn abgehakt. Das Gefeilsche um die mittelfristigen Finanzmittel für die Jahre von 2014 bis 2020 hatte noch gar nicht begonnen, da brachte die Kanzlerin bereits einen weiteren Gipfel ins Gespräch. Notfalls müsse im nächsten Frühjahr ein neuer Anlauf genommen werden, dämpfte die deutsche Regierungschefin die Erwartungen.

Ein paar Monate mehr Zeit seien nicht dramatisch und kein Beinbruch, wurde der Stillstand in der deutschen Delegation heruntergespielt. Von einem Scheitern war ohnehin nicht die Rede. Vielmehr gehe es nach einem ersten Anlauf nun um die zweite Stufe oder „Etappe zwei“, wie Merkel es freundlich formulierte.

Es geht um Rabatte, Geld für Landwirte und Fördermittel an weniger entwickelte Regionen. Für die Kanzlerin bestand bei diesem ungewöhnlichen Gipfel immerhin die Chance, sich ein wenig aus der Isolation zu befreien, in die sie durch ihr Euro-Krisenmanagement geraten ist. Die deutsche Regierungschefin befand sich ausnahmsweise auf der Seite des moderaten Flügels in der Runde der 27 Chefs – oder 28, denn Kroatien soll 2013 der Gemeinschaft beitreten und sitzt bereits beim Gipfel mit am Tisch – ist aber nicht stimmberechtigt.

Mal nicht die eiserne „Madame No“, versuchte Merkel sich in der weit angenehmeren Rolle der Mittlerin – nicht nur zwischen „armen“ und „reichen“ Ländern, sondern auch unter den zerstrittenen Geberländern sowie zwischen den hartnäckigen Etatplanern bei Kommission und Parlament sowie Gipfelchef Herman van Rompuy.

Von dem – bei früheren Gipfeln und Euro-Rettungsversuchen – Ton angebenden deutsch-französischen Tandem war auch diesmal wenig zu spüren. Eine gemeinsame Initiative von Kanzleramt und Élysée-Palast gab es nicht – was Auswirkungen über die Etatplanungen hinaus haben dürfte. Vielmehr zeigte die Kanzlerin reichlich Verständnis für den britischen Premier David Cameron, auch wenn sie dessen Wunsch nach Radikalkürzungen nicht teilt und „moderater sparen“ will. Zumal Merkel mit „David“ trotz Differenzen persönlich offenbar besser klar kommt als mit dem Sozialisten aus Paris, François Hollande.

Die Deutschen hegen den Verdacht, dass es die Brüsseler Entscheidungsträger geradezu darauf anlegen, in dem Etat-Poker die europaskeptischen Briten als Buhmann in die Ecke zu stellen und die anderen Staaten mit diversen Leckerbissen rumzukriegen.

Die Unterhändler konnten jedenfalls kaum einen Millimeter Bewegung Richtung Cameron feststellen. Argwöhnisch wird von Berlin auch beobachtet, wie über Rabatte, Zahlungen und Rückflüsse ein Keil zwischen die großen Nettozahler getrieben wird, die jährlich mehr Geld an Brüssel überweisen als sie aus EU-Töpfen bekommen.

Merkel & Co warnten vor einer Lösung „26 zu eins“ – einer Einigung ohne London. Statt einer Sieben-Jahres-Periode mit planbaren Hilfen und Investitionsmitteln für alle EU-Staaten müsste dann alljährlich um die zu verteilenden Fördergelder gefeilscht werden. Ein Alptraum für „ärmere“ Länder wäre dies, für London dagegen wäre es zwar teurer, aber zu verschmerzen.

Die Deutschen pochen nicht nur auf moderate Kürzungen und „vernünftige“ Obergrenzen. Schließlich trägt Berlin vom aktuellen Finanzrahmen von rund 1000 Milliarden Euro etwa 20 Prozent und ist größter Nettozahler. Zuletzt wurden neun Milliarden Euro mehr gezahlt als zurückkamen. Aber auch Deutschland bekommt wie Großbritannien einen Rabatt, ebenso die Niederlande, Schweden und Österreich.

Berlin strebt vor allem an, EU-Gelder gezielter und flexibler in den Ländern auszugeben, um Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln. Auch soll es ein „Sicherheitsnetz“ für die neuen Länder geben, die aus der höchsten Stufe der Strukturfondszahlungen fallen.

Für Merkel sind das Geschacher über einen Sieben-Jahres-Etat und die Mittlerrolle nicht ganz neu. Als das Sondertreffen am Donnerstag begann, war sie auf den Tag genau sieben Jahre als Kanzlerin im Amt. Schon im Dezember 2005 wurde um den Etatplan für 2007 bis 2013 heftig gerungen. Damals rettete Merkel, frisch im Amt, mit einem Kompromiss die Verhandlungen – auch, weil sie einem höheren Etat-Volumen zustimmte.