Mehr Geld für 2013 und Mehrjahres-Haushalt gefordert. Kampfansage an knauserige Hauptstädte vor dem Sondergipfel.

Straßburg. Die Hauptstädte haben ihre Geschütze vor dem brisanten EU-Haushaltsgipfel schon in Stellung gebracht, jetzt ziehen die Volksvertreter nach: Das Europäische Parlament verlangte am Dienstag deutlich mehr Geld für den Gemeinschaftsetat und ging damit auf Konfrontationskurs zu den Mitgliedsstaaten. „Den Worten auch Taten folgen lassen“, lautete ein gemeinsamer Appell der Abgeordneten, nach deren Einschätzung die Regierungen ihre Wachstumsrhetorik nicht mit den nötigen Mitteln unterfüttern. Vor allem die Briten kassierten wegen ihrer Blockadehaltung eine Breitseite im Straßburger Plenarsaal.

Vor dem heiklen Sondergipfel am 22. und 23. November stärkten die Parlamentarier der EU-Kommission demonstrativ den Rücken: Diese hatte für den mehrjährigen Finanzrahmen der Jahre 2014 bis 2020 ein Budget von knapp 1,1 Billionen Euro angesetzt – sieht sich aber massivem Druck der Nettozahler-Länder ausgesetzt, die mehr in den EU-Topf einzahlen, als sie herausbekommen. Deutschland etwa will den Kommissionsentwurf um 100 Milliarden Euro kürzen, Großbritannien gar um 250 Milliarden. Sozialdemokraten, Konservative, Grüne und Liberale im Parlament erteilten dem unisono eine Abfuhr.

„In den letzten Jahren haben die EU-Mitgliedstaaten eine ganze Liste neuer Prioritäten und Verpflichtungen aufgestellt, ... und jetzt verweigern sie die dafür notwendigen finanziellen Mittel“, schimpfte der zuständige Berichterstatter Reimer Böger (CDU). „Diese Position gefährdet Maßnahmen für mehr Wirtschaftswachstum und Wohlstand und bedroht Schlüsselprojekte, bei denen die EU ein verlässlicher Partner in internationalen Kooperationen sein muss.“ Von den Regierungen erwarte er eine „verantwortungsbewusste Verhandlungsposition“, also mehr Geld – womit Böger seiner eigenen Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel widersprach.

Auch die Grünen warnten vor dramatische Einschnitten ins Budget. „Dies würde die nötigen Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung unmöglich machen“, sagte Haushaltsexpertin Helga Trüpel. Um die nationalen Haushalte vor Mehrbelastungen zu schützen, müsse die EU dringend ihren Eigenmittelanteil erhöhen, etwa durch Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer oder einen eigenen Mehrwertsteueranteil. „Das würde die Union unabhängiger von den Mitgliedstaaten machen, die sich gerade bei den jährlichen Haushaltsverhandlungen in nationalen Egoismen verlieren und das gesamteuropäische Interesse aus dem Blick verlieren“, sagte Trüpel.

Insbesondere der britische Premierminister David Cameron, der innenpolitisch unter großem Druck seitens europafeindlicher Populisten und des erzkonservativen Flügels seiner eigenen Partei steht, hat schon mehrfach mit einer Blockade des künftigen EU-Haushalts gedroht. Sollte es keine angemessenen Kontrollen geben oder werde der Haushalt massiv erhöht, werde er sein Veto einlegen, kündigte Cameron an.

In Straßburg läuft er damit gegen eine Wand. „Wenn Herr Cameron mit Veto droht, sollte er sich bewusst sein, dass wir das auch können“, entgegnete der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda (SPD). „Das Europäische Parlament ist wesentlich stärker als er.“ Tatsächlich muss das Plenum dem Vorschlag der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen, erst dann kann deren Rat einstimmig entscheiden.

Ins gleiche Horn wie Swoboda stieß EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski bei seinem Gastauftritt im Plenum. Großbritanniens Beitrag zum Gemeinschaftsetat entspreche gerade einmal der Summe, die das Land für seine Feuerwehr ausgebe und weniger als der für Gefängnisse. In den jährlichen Schuldendienst der Londoner Regierung fließe gar 14-mal mehr Geld als in Richtung Brüssel.

Geht es nach den Abgeordneten, sollen auch die Ausgaben 2013 gesteigert werden, nämlich um 6,8 Prozent. Das wären Mehrausgaben von knapp 140 Milliarden Euro. Berlin und die anderen Hauptstädte verlangen dagegen Kürzungen von 5,2 Milliarden Euro. Briten, Schweden und Niederländer wollen sogar noch stärkere Einsparungen. Das Parlament will alternativ mehr Effizienz bei der Verwaltung und einen Bürokratiecheck aller Mehrjahresprogramme durchsetzen.

Nach dem Votum des EU-Parlaments nimmt die zyprische EU-Ratspräsidentschaft nun schwierige Vermittlungsverhandlungen auf. Ohne Einigung bis Ende November kommt es zum sogenannten Zwölftel-Haushalt: In dem Fall müssten die EU-Mittel jeden Monat aufs Neue gebilligt werden. Die geforderten Mehrausgaben begründet Budgetkommissar Lewandowski vor allem damit, dass aufgelaufene Rechnungen der vergangenen Jahre bezahlt werden müssen. Das EU-Parlament fürchtet bei Kürzungen das Aus für wichtige europäische Programme etwa für Studenten oder ältere Menschen.

Für das laufende Jahr 2012 nahm die Kommission am Dienstag ihren Berichtigungshaushalt an. Zur Begleichung der eingehenden Rechnungen und Einhaltung vertraglicher und gesetzlicher Verpflichtungen veranschlagt sie zusätzliche neun Milliarden Euro. „Dies ist kein Berichtigungshaushalt für die EU-Organe, sondern für Studierende, Wissenschaftler, NRO, Unternehmen und somit für alle, die tagtäglich auf EU-Mittel angewiesen sind“, betonte Lewandowski.