Die Briten bestehen auf ein Einfrieren des EU-Haushalts 2014-2020. Selbst ein Austritt ist denkbar. Verunsicherung in Brüssel ist groß.

Brüssel/London. Wenn David Cameron in den vergangenen Monaten am Ratsgebäude in Brüssel vorfuhr, waren die Kameras auf andere gerichtet. Seine Amtskollegen aus Deutschland, Griechenland, Spanien oder Frankreich halten in der Euro-Krise das Schicksal der Währungsgemeinschaft in Händen. Heute aber ist es Cameron, der augenscheinlich über die Zukunft Europas entscheidet. Wie auch immer der Sondergipfel zum Haushalt 2014-20 endet: Die Union wird danach wohl nicht mehr die sein, an der ihre Mitglieder über Jahre und Jahrzehnte gearbeitet haben.

In Brüssel ist die Verunsicherung riesig. Vorbei seien die Zeiten, als "Europas Agenda immer auch Londons Agenda war: die internationale Vorreiterrolle im Kampf gegen die Klimaerwärmung, Reformen des Binnenmarkts, die enge Anlehnung an Washington und natürlich die Erweiterung", betonen Kommissionskreise. "Wenn Cameron will, dann kann er den auf dem Tisch liegenden Kompromiss zu Hause als Kürzung verkaufen. Es kommt nur auf den Referenzwert an, den er wählt", sagt ein hoher Beamter. Dass er einen wählt, der beide Seiten als Gewinner aussehen lässt, daran glaubt in Brüssel allerdings derzeit niemand.

So ungewiss wie der Ausgang des Budget-Gipfels der EU ist auch die Strategie von Premierminister David Cameron, mit der dieser in die Verhandlungen gehen wird. Sicher ist nur, dass Cameron zu Hause von allen Seiten in Richtungen gedrängt wird, die sich gegenseitig widersprechen.

"Ich glaube, dass ein Europa ohne Großbritannien in seiner Mitte ein weniger reformfreudiges, ein weniger offenes, weniger internationales Europa sein wird", warnte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Cameron Mitte Juli in einem raren Interview zum Thema. Und schickt die verzweifelt klingende Frage hinterher: "Wie kann es sein, dass dieses Land so offen der Welt gegenübersteht - und augenscheinlich so verschlossen gegenüber Europa?" Großbritannien aber bleibt bei seiner knallharten Linie. In der Öffentlichkeit rückt der Regierungschef um keinen Deut von seiner lange erhobenen Forderung ab, dass der Brüsseler Haushalt 2014-2020 einzufrieren sei, angepasst höchstens an die Inflationsrate von zwei Prozent. Um Allianzen zu schmieden für diese Position, hat Cameron in den letzten Tagen fast pausenlos Telefonate geführt mit seinen Gegenübern in Polen, Schweden, Deutschland, den Niederlanden und anderen Ländern. Er will nicht wieder so unvorbereitet bei einem EU-Gipfel erscheinen wie im Dezember 2011, als er ohne Gespräche in den EU-Hauptstädten geführt zu haben Nein zum Fiskalpakt sagte. Der wurde dann ohne Großbritannien beschlossen. Das ließ Cameron innenpolitisch mutig, in der Gemeinschaft dagegen isoliert dastehen.

Doch der Rahmen für den EU-Haushalt 2014-2020 kann nur einstimmig beschlossen werden, mit allen 27 EU-Mitgliedern. Der in Brüssel kolportierte Plan, notfalls eine Einigung unter den 26, also ohne England, anzupeilen, ist nach Ansicht der Downing Street und britischer Rechtsexperten undurchführbar. Es würde die gesetzliche Grundlage der Verträge der Gemeinschaft unterminieren.

"Die Stimmung in der Kommission ist sehr bedrückt. Ein Veto aus London zu einem frühen Zeitpunkt der Verhandlungen ist ein Szenario, auf das wir uns einstellen. Also ein Desaster", gibt ein Vertreter der Behörde zu. "Cameron kann von seinen innenpolitischen Versprechen nicht mehr zurück. Erst recht nicht, nachdem sich Labour im Unterhaus aufseiten der Hardline-Euroskeptiker gestellt hat. Und weil die radikalen Europagegner der Partei Ukip ein extrem ernster Gegner für Cameron geworden sind und die Tories allen Prognosen nach bei Europafragen bereits abhängen."

Cameron, so die einhellige Meinung in Brüssel, hat die Kontrolle verloren. 50 Hinterbänkler bestimmten die Europapolitik des Königreichs, lautet die verzweifelte Bilanz. Brüssel müsse aufhören, "sich als Taschendieb der Öffentlichkeit aufzuführen", wetterte derweil Cameron. Es mahne immer mehr Beiträge für den europäischen Haushalt an, während in allen Ländern der Gemeinschaft der Rotstift herrsche. Bekanntlich wünscht die Kommission eine Erhöhung der Mittel um nominal fünf Prozent, was die Gesamthöhe des EU-Haushalts in die Nähe von einer Billion Euro führen würde.

Nun mischte sich auch noch Londons Bürgermeister Boris Johnson mit gewohntem Aplomb in die Debatte und forderte seinen Parteifreund, den Regierungschef, auf, "Margaret Thatchers Handtasche um seinen Kopf zu schwingen und sie laut auf dem EU-Tisch landen zu lassen mit den Worten No, Non, Nein." Ähnlich wie Johnson äußern sich in diesen Tagen auch andere prominente Mitglieder der Tories, die es am liebsten darauf ankommen ließen, dass die Briten in einem Referendum für den Austritt aus der EU stimmen würden. Die jüngste Umfrage bestätigt sie: Demnach würden 56 Prozent der Bevölkerung, würde ein solches Referendum heute stattfinden, für einen Austritt aus der EU stimmen.